| Vater:
Johannes Friedrich Gustav Steinwachs
* 15. April 1862 in Braunschweig
† 5. April 1923 in Neinstedt am Harz
Theologe / 1882–1887 Hauslehrer bei Graf Zedlitz / Ordination am 28. September 1887 in Breslau/Schlesien / 1888–1892 Pastor in Groß Peterwitz
(poln. Pietrowice Wielkie)/Schlesien / 1892–1899 Pastor bei der Stadtmission in Magdeburg / 1899–1923 Pastor und Leiter der Neinstedter Anstalten
in Neinstedt am Harz
| Mutter:
Marie Gottliebe Gertrud Steinwachs geb. Bruckisch
* 3. November 1865 in Prausnitz (poln. Prusice)/Schlesien
† 3. September 1939 in Neinstedt am Harz
| Schulischer Bildungsweg:
| Studium der Theologie:
| Ordination: 21. März 1932 in Magdeburg/Dom St. Mauritius und St. Katharina
| Pfarrstellen:
| Ruhestand: ab 1. August 1968 in Bad Orb
| Ehefrau: Heirat am 14. oder 15. März 1933 in Kirchhain (standesamtlich) mit
Renate Christiane Liliane Ottilie Eisenberg
* 25. Mai 1910 in Kirchhain
† 26. April 2007 in Geislitz-Linsengericht bei Bad Orb
[] 4. Mai 2007 in Bad Orb
| Vater:
Dr. med. Otto Eisenberg
* 1. Januar 1874 in Erlangen
† 12. Februar 1958 in Kirchhain
Arzt / Praktischer Arzt in Kirchhain
| Mutter:
Bertha Lilli Eisenberg geb. Baumann
* 31. Januar 1881 in Strupbach bei Rodheim an der Biber
† 13. Februar 1967 in Witzenhausen
| Kinder:
Jutta Steinwachs
Unterrichtsschwester
Dr.-Ing. Hans Otto Steinwachs
Dr. rer. nat. Martin Steinwachs
* 9. April 1939 in Leimbach bei Mansfeld
† 20. Januar 2000 in Hannover
Geophysiker
Dr. phil. Burkhart Steinwachs
Universitätsdozent für romanische Literaturwissenschaft
| Anmerkungen zur Biografie von Heinrich Steinwachs
Heinrich Steinwachs begann seine pfarramtliche Tätigkeit als Pastor der Deutschen Gemeinde in Puerto Montt (Chile).
1933 heiratete Steinwachs die Arzttochter Renate Eisenberg, die er in Neinstedt als Haustochter bei dem Arzt
Dr. Wittenberg kennengelernt hatte. Die Familie Eisenberg gehörte konfessionell der Renitenten Kirche ungeänderter
Augsburgischer Konfession in Hessen an, einer 1873/1874 von einigen Pfarrern der damaligen preußischen Provinz
Hessen-Nassau als Protest gegen das unierte Kasseler Konsistorium gegründeten Kirche. Den Pfarrdienst im südchilenischen
Puerto Montt trat Steinwachs zum 1. April 1933 an, wo ihm ein Haus- und Dienstmädchen, sowie ein Pferd und ein Automobil
zur Verfügung standen. Als Pastor der Deutschen Gemeinde in Puerto Montt hatte er über Puerto Montt hinaus die Gemeinde
der deutschen Kolonisten am Llanquihue-See und der Insel Chiloé zu betreuen. [2]
Nach fünf Jahren Auslandsdienst kehrte Heinrich Steinwachs im November 1938 mit seiner inzwischen vierköpfigen Familie
nach Deutschland zurück. Neben seiner ausgeprägten Heimatliebe hatte an der Entscheidung zur Rückkehr vermutlich auch
das Kirchliche Außenamt in Berlin Einfluß genommen. Zum 1. Dezember 1938 übernahm Pastor Steinwachs das Pfarramt Leimbach
bei Mansfeld. Seine dortige Amtszeit wurde unterbrochen durch zweieinhalb Jahre Kriegsdienst, die ihm als Pastor in Chile
erspart geblieben wären. Im März 1943 wechselte Heinrich Steinwachs auf die Pfarrstelle in Benneckenstein, damals
kirchenpolitisch eine provinzsächsische Exklave zwischen Gebieten, die zur Braunschweigischen bzw. Hannoverschen Landeskirche
gehörten. Mit dem dortigen Pfarramt war als Predigstätte auch die unweit von Benneckenstein an der späteren Zonengrenze
gelegene Kapelle der Johanniter-Heilstätte verbunden.
Die Amtszeit in Benneckenstein war durch Hunger geprägt. Der Ort war nicht kriegszerstört, aber es gab in Benneckenstein
aufgrund der Klima- und Bodenverhältnisse keinen Ackerbau. Regelmäßig unternahm die Familie Steinwachs Besuche über die
noch offene Zonengrenze zu Pastor Kammerer in Hohegeiß, »um Kartons z. B. mit amerikanischem Toastbrot und Dosen
mit Schmelzkäse, die 'Care', chilenische Freunde und Verwandte meiner Mutter dorthin geschickt hatten, abzuholen.
(...) In Benneckenstein wuchs nichts, die Hungersnot war furchtbar, besonders in den Nachkriegsjahren.« Weiter
schreibt Dr. phil. Burkhart Steinwachs, der jüngste Sohn von Pastor Heinrich Steinwachs, in seinem Brief vom
14. Februar 2001 an den Verfasser: »Diese gleichsam Überlebensmittel mußten mühsam auf Schlitten nach Benneckenstein
transportiert werden, häufig in einem Troß von mehreren Frauen; uns Kleinkindern kam dabei durch bloße Präsenz die Funktion
zu, die Mütter vor Übergriffen durch die Russen zu bewahren und vor der Konfiszierung der Waren zu schützen.«
Durch die von den Alliierten geschaffene Nachkriegsordnung in Deutschland befand sich Benneckenstein in der Sowjetischen
Besatzungszone (SBZ), in unmittelbarer Nähe der Demarkationslinie zum britischen Sektor, die ab 1949 die Grenze zwischen
beiden deutschen Staaten bildete. Aufgrund dieser Lage entwickelte sich Benneckenstein nach 1945 zu einem Ziel- bzw.
Ausgangspunkt für Grenzgänger und Flüchtlinge. In seinem Brief vom 8. Juni 2001 an den Verfasser erinnert sich Dr. Burkhart
Steinwachs diesbezüglich: »Das Pfarrhaus bzw. der am Ende des Hofes angebaute Pfarrsaal war in den Jahren der noch
'grünen' Grenze eine beliebte Durchgangsstelle für Flüchtlinge, die aus der SBZ in die 'Westzonen' überwechseln
wollten. Man verbrachte die halbe Nacht auf Strohlagern im Pfarrsaal und ging dann am frühen Morgen über die ca. 2km nahe
Demarkationslinie/Grenze.« Unter diesen Grenzgängern waren viele später hochgestellte Persönlichkeiten der
Bundesrepublik Deutschland, u. a. ein Bruder von DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser,
Dr. Eugen Gerstenmeier (1906–1986) - von 1954 bis 1969 Bundestagspräsident in Bonn und unfreiwilliger Namensgeber des dortigen
Abgeordnetenhauses 'Langer Eugen', der Autor Hans Lipinski-Gottersdorf (1920–1991) und viele andere mehr.
Im Herbst 1949 stand eines Nachts bei strömenden Regen auch einer der Söhne von Pastor Karl Helmer/Niedersachswerfen
vor der Tür des Benneckensteiner Pfarrhauses. Pastor Helmer war nach dem Tod seiner Ehefrau am 26. Oktober 1949 im
Sanatorium Barner in Braunlage in Westdeutschland geblieben. Im Gespräch legte Helmers Sohn Heinrich Steinwachs das
Verlassen der DDR nahe, was zu diesem Zeitpunkt noch möglich war. Steinwachs lehnte diese Überlegung jedoch ab. Neben
seiner ausgeprägten Liebe zum Harz hegte er die stille Hoffnung, eines Tages nach Neinstedt berufen zu werden, wo bereits
sein Vater Pastor und Leiter der dortigen Neinstedter Anstalten war. Auch lebte in ihm zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung,
daß die schwierige politische Situation nur ein Übergangsphänomen sei, auch die sozialistische DDR nicht ohne Kirche auskommen
könne und sich im Laufe der Zeit alle bzw. alles arrangieren würde. Helmers Sohn konnte Steinwachs zwar nicht von einer Flucht
in die Bundesrepublik Deutschland überzeugen, weckte aber sein Interesse an der Pfarrstelle in Niedersachswerfen, mit der sich
ein großes Pfarrhaus und Pfarrgrundstück, aber auch - hinsichtlich der größer werdenden Kinder - eine bessere Erreichbarkeit
zu weiterführenden Schulen im nahegelegenen Nordhausen verband. Infolge dieser nächtlichen Begebenheit im Benneckensteiner
Pfarrhaus und darauffolgender Korrespondenzen lud der Kirchenvorstand von Niedersachswerfen Heinrich Steinwachs Anfang 1950
zu einem Gespräch ein. Die Möglichkeit eines sofortigen Dienstbeginnes in Niedersachswerfen schlug Steinwachs aus, da er in
Benneckenstein noch den Konfirmationsgottesdienst abhalten wollte. Am 5. April 1950 zog die sechsköpfige Pfarrfamilie nach
Niedersachswerfen. Der Umzug von Benneckenstein nach Niedersachswerfen war zugleich ein Wechsel von der Kirchenprovinz Sachsen,
einer unierten Landeskirche, in die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, was Steinwachs von seinen Amtsbrüdern im damaligen
Kirchenkreis Grafschaft Hohnstein unmißverständlich zum Vorwurf gemacht wurde. In seinem Schreiben vom September 1951 gibt
der Kirchenvorstand Niedersachswerfen dem Landeskirchenamt in Hannover zur Kenntnis:
»Infolge der seit einigen Monaten bestehenden Superintendenten-Vakanz wird unser allgemein beliebter und von der
gesamten Gemeinde hoch geachteter Herr Pastor Steinwachs, der mit der Superintendenten-Vertretung von dort aus beauftragt
ist, von der allergrössten Anzahl seiner anderen zum Kirchenkreis gehörenden Herren Amtsbrüder in nicht zu rechtfertigender
und unbegründeten Weise angegriffen. [...] Grund für die unfaire und dem Pastorenstand sowie dem gesamten kirchlichen Leben
schädigende Arbeit gegen Herrn Steinwachs liegt darin, dass
• Herr Pastor Steinwachs aus der Landeskirche der altpreussisch. Union zu uns gekommen ist,
• dass es ihm in der kurzen Zeit seines Hierseins gelungen ist, sich allgemeiner Wertschätzung, Achtung und Vertrauen zu erfreuen,
• dass er ebenfalls das Vertrauen des Landeskirchenamtes geniesst und dass er von diesem zum Superintendenten-Stellvertreter beauftragt
ist.« [3]
Hintergründig spielten im Zusammenhang mit der ablehnenden Haltung gegenüber Heinrich Steinwachs Spekulationen auf die
vakante Stelle des Ilfelder Superintendenten innerhalb der Ilfelder Pfarrerschaft eine Rolle. Außerdem wurde Steinwachs
aufgrund seiner landeskirchlichen Herkunft offen unterstellt, in seiner Pfarrstelle ein »Sprungbrett nach dem Westen«
zu sehen. Der Zwist unter den Ilfelder Pastoren mußte durch den damaligen hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje (1899–1977)
persönlich geschlichtet werden.
Der Konfrontationskurs des SED-Regimes gegenüber Kirchen, der vor allem, aber nicht nur, in Kulturkampf ähnlichen
Auseinandersetzungen um Konfirmation und Jugendweihe seinen Ausdruck fand, verschärfte sich nach dem Volksaufstand
vom 17. Juni 1953 deutlich und erfasste bald auch Heinrich Steinwachs und seine Familie. Die mit dem Wechsel von
Benneckenstein nach Niedersachswerfen erhofften besseren Bildungschancen für die Kinder erfüllten sich nicht. Die
Tochter Jutta wurde wenige Wochen vor dem Abitur von den Prüfungen an der Nordhäuser Oberschule ausgeschlossen.
Begründet wurde diese Entscheidung mit ihrer familiären Herkunft und einer angeblichen Beleidigung des FDJ-Leiters.
Dem ältesten Sohn Hans wurde - ebenfalls aufgrund seiner Herkunft - der Besuch der Oberschule verwehrt. Durch Vermittlung
eines Amtsbruders von Pastor Steinwachs wurde er in die Nähe von Magdeburg geschickt und besuchte zunächst dort
(unter Vertuschung seiner Herkunft) eine Oberschule. Erst später erreichte Pastor Steinwachs beim Direktor der
Nordhäuser Oberschule die Aufnahme seines ältesteten Sohnes. Spannungen entwickelten sich auch zwischen Schule
und Pfarre in Niedersachswerfen, ausgelöst durch die am Westgiebel des Pfarrhauses angebrachte Inschrift 'GOTT ALLEIN DIE EHRE'.
Dr. Burkhart Steinwachs erinnert sich in seinem Schreiben vom 27. Januar 2001 an den Verfasser: »Wir hatten
unser Klassenzimmer im Querbau der Schule im ersten Stock und alle Schüler, wenn sie aus dem Fenster blickten (...),
schauten auf die Pfarrhausfassade. Unser Russischlehrer (...) reibte sich ideologisch an der Inschrift der
Pfarrhausfassade und setzte deren Entfernung durch. Man kam also mit Hammer und Meißel und begann, aus einem
der Fenster gelehnt und mit Gurt gesichert, zuerst das 'ALLEIN' abzuschlagen. Das war jedoch mühsamer
als man dachte, und ohne ein Gerüst waren die Kräfte bald verbraucht und man schaffte nur das 'ALLEI'.
Lange stand auf der Fassade 'GOTT N DIE EHRE'; bald wurde die Erlaubnis erwirkt, die Buchstaben wieder
zu ersetzen.« Auch die Privatsphäre und Amtstätigkeit von Pastor Steinwachs gerieten zwangsläufig ins
Visier des SED-Staates. Im oben genannten Brief vom 27. Januar 2001 schreibt Dr. Burkhart Steinwachs diesbezüglich:
»Das Pfarramt war immer die letzte, in der Bevölkerung unerschütterliche Vertrauensinstanz. Dort konnte
man offen reden, sich anvertrauen und deshalb waren die Gespräche dort wohl von besonderem Interesse für den
Staatssicherheitsdienst der DDR. Wir hatten auf dem Telefon im Dienstzimmer meines Vaters (einziges im Haus und
der Umgebung!) immer einen Berg mit Sofakissen liegen, da wir durch einen in den Westen geflohenen Techniker
erfahren hatten, daß in dem schwarzen Telefongehäuse ein Mikrofon eingebaut war, um ständig alle Gespräche - also
nicht nur während des Telefonierens - im Raum abhören zu können. Daß auch in den 220V Leitungsverteilerdosen in den
Schlafräumen Abhörmikrofone eingebaut waren, ist uns erst sehr viel später durch Superintendent Ullrich bestätigt
worden.« Neben Gegenerschaft zur Jugendweihe wurde Pastor Steinwachs schließlich vorgeworfen,
• anläßlich des Besuches eines deutschen Kriegsschiffes/Flottenverbandes in Puerto Montt während eines
Mannschafts-Gottesdienstes unter der Hakenkreuzfahne fotografiert worden zu sein,
• Medikamente gegen die im Sommer 1951 in Niedersachswerfen grassierende Typhus-Epidemie über West-Berlin beschafft zu haben,
• als Vakanzvertreter des Ilfelder Superintendenten Gelder vom Landeskirchenamt Hannover, die für die Reparatur
des Ilfelder Pfarrhauses und des Daches der Niedersachswerfener Kirche bestimmt waren, in die DDR eingeschleust zu haben -
in der Terminologie der DDR ein sogenanntes 'Devisenvergehen'.
Außerdem wurde Steinwachs illegales Verleiten zum Verlassen der DDR vorgeworfen, was indirekt auch richtig war:
Sein ältester Bruder, Pastor Fritz Steinwachs, war Leiter des Diakonissenmutterhauses in Teltow (Berlin) und eine
ab und an durch Heinrich Steinwachs vermittelte Anlaufstation für DDR-Flüchtlinge, besonders aus kirchlichen Kreisen,
1955 dann auch für ihn und seine Familie. Da die politische Entwicklung auf eine Inhaftierung hinauslief, flüchtete
Pastor Steinwachs im Frühjahr 1955 über Teltow und West-Berlin in die Bundesrepublik Deutschland. Die Familie folgte
wenig später nach. Heinrich Steinwachs war dann bis 1968 Pastor an der Matthäi-Kirche zu Hannover-Wülfel und lebte als
Ruheständler bis zu seinem Tode 1993 in Bad Orb.
Leider wird die Pfarrerflucht auch in Niedersachswerfen bis heute überwiegend unter ökonomischen Aspekten und unter
Ausblendung der sozialen und seelischen Folgen be- bzw. verurteilt. Über den Preis der durch Flucht in den Westen
gewonnenen Freiheit bemerkt Dr. Burkhart Steinwachs in seinem an den Verfasser gerichteten Brief vom 27. Januar 2001 u. a.:
»Natürlich gab es DDR-Flüchtlinge, die allein aus ökonomischen, rechtsstaatlichen oder bildungspolitischen Gründen
die DDR verlassen haben. Das traf aber schon deshalb für uns nicht zu, weil z. B. meine Mutter (...) ihre komplette Aussteuer
zur Möblierung eines ganzen Hauses von ihren Eltern erst nach der Rückkehr aus Chile erhalten hatte und die wir komplett
haben zurücklassen müssen. (...) Die Flucht hat meinen Vater in den besten Lebensjahren in einen unlösbaren Konflikt
gestürzt, den er Zeit seines Lebens nicht überwinden konnte.«
Zwischenbetrachtung
Die Zeit zwischen 1945 und 1961 war im Kirchenkreis Ilfeld durch relativ kurze Amtsperioden der Pastoren geprägt.
Im Sprachgebrauch der einheimischen Bevölkerung aber auch unter der Pfarrerschaft bürgerte sich das Schlagwort vom
»Sprungbrett nach dem Westen« ein. Diese Bezeichnung basierte auf der trotz staatlicher Teilung
bis 1974 bestehenden Zugehörigkeit des Ilfelder Gebietes zur Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und der Tatsache,
daß sich die Ilfelder Pfarrerschaft durch Flucht bis 1961 in den Westen absetzte. Die Charakterisierung als
»Sprungbrett nach dem Westen« ist undifferenziert und somit historisch bedenklich, unterstellt
sie den geflüchteten Pastoren doch unterschwellig von Beginn ihrer Amtszeit an Fluchtabsichten und allein wirtschaftliche
Beweggründe beim Verlassen der anvertrauten Gemeinden. Ein Privileg der Ilfelder Geistlichen bestand allerdings darin,
daß ihnen nach erfolgter Flucht durch die Hannoversche Landeskirche innerhalb kurzer Zeit eine Pfarrstelle im Westen
übertragen wurde. Normalerweise bekamen Pastoren, die die DDR auf eigene Faust verließen, erst nach Monaten oder
Jahren eine Pfarrstelle in einer westdeutschen Landeskirche zugewiesen.
Zumindest für Niedersachswerfen ist die 'Sprungbrett-Theorie' differenziert zu betrachten: Karl Helmer verließ
Niedersachswerfen 1949, da ihm die Braunschweigische Landeskirche nach dem ihm in der Zeit des Nationalsozialismus
angetanen Unrecht als Wiedergutmachung eine Pfarrstelle übertrug. Karl-Heinrich Seeschaaf, der Nachfolger von
Heinrich Steinwachs im Amt des Pastors von Niedersachswerfen, wurde nach abgeschlossenem Theologiestudium in den
1930er Jahren von der Hannoverschen Landeskirche in die Ev.-luth. Landeskirche von Thüringen entsandt. Dort herrschte
damals - im Gegensatz zu Hannover - ein Pfarrermangel. Mit seinem 1955 erfolgten Wechsel von Orlamünde nach Niedersachswerfen
kehrte Seeschaaf - wie 1949 Karl Helmer - in seine angestammte Landeskirche zurück. Die politische Situation, die für
Pastor Steinwachs letztlich in einer Bedrohung für Leib und Leben zu gipfeln drohte, war auch für Karl-Heinrich Seeschaaf
Anlaß, Niedersachswerfen bereits Ende Dezember 1957 zu verlassen.
[1] Die Amtszeit in Leimbach wurde unterbrochen durch Militärdienst im Zweiten Weltkrieg:
[2] Über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Puerto Montt und die Motive der Rückkehr von Heinrich Steinwachs siehe auch:
Mybes, Fritz: Die Geschichte der aus der deutschen Einwanderung entstandenen lutherischen Kirchen in Chile : Von den Anfängen bis zum Jahre 1975.
Düsseldorf 1993, S. 24–25, 136, 139
[3] Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Niedersachswerfen | Pfarrarchiv, Protokollbuch des Kirchenvorstandes Nr. 3
Literatur:
Anzeigen | Zeitungsartikel:
Quellen:
Bildnachweis: