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  1. Leben und Werk
  2. Bedeutung und Ausstrahlung
  3. Ämter, Ehrungen und Mitgliedschaften

Leben und Werk

Am 2. Oktober 1818 wurde Conrad Wilhelm Hase als zehntes Kind des Steuereinnehmers Heinrich Adam Carl Hase (1773–1853) und dessen Ehefrau Christina Eleonora geb. Zimmer (1778–1838) in Einbeck geboren. In der malerischen niedersächsischen Fachwerkstadt verlebte Hase seine Kindheit und absolvierte seine Schulausbildung, die er 1834 mit dem Abschluß des Progymnasiums beendete. Von 1832 bis 1834 hatte er sonntags auch die Gewerbeschule in Einbeck besucht. Im Wintersemester 1834/1835 begann er mit dem Studium der Baukunst in Hannover, unter anderem bei dem »Kriegsbaumeister« und Architekturlehrer Ernst Ebeling (1804–1851), dem Entwerfer des hannoverschen Polytechnikum-Gebäudes und Vertreter des »florentinischen Rundbogenstils«.
Als Student trat Hase dem national gesonnenen Turnerbund bei und pflegte geselligen Umgang mit Künstlern und Kunstliebhabern in Hannover. Nach Beendigung des Studiums im Frühjahr 1838 fand er zunächst keine Anstellung, kehrte nach Einbeck zurück und half seinem Vater bei Steuerangelegenheiten. Daneben studierte er in Göttingen und beschäftigte sich dort besonders mit der griechischen Architektur der Antike. Bemühungen um Zulassung und Beschäftigung als Baumeister im Staatsdienst blieben zunächst erfolglos. Hases ehemaliger Lehrer Ebeling riet dem noch unerfahrenen Architekten zu einer Maurerlehre, die Hase dann bei dem hannoverschen Maurermeister Christoph August Gersting (1802–1872) absolvierte. Als Lehrling mauerte Hase – zusammen mit einem Gesellen – den großen Schornstein der Mechanischen Weberei in Linden. Nach erfolgreicher Ablegung der Gesellenprüfung ging Hase im Frühjahr 1840 auf Wanderschaft – mit dem Ziel München. Über Kassel gelangte er nach Marburg, wo er die gotische Elisabethkirche bewunderte und skizzierte. Er arbeitete als Maurer in Wiesbaden und Mainz und unternahm verschiedene Ausflüge, zum Beispiel nach Koblenz. Auf der Weiterreise besichtigte er die Dome in Worms und Speyer, sowie das Ulmer Münster.
In München angekommen, fand er auch Arbeit als Maurer beim Residenz-Bau Leo von Klenzes (1784–1864), eines berühmten Architekten des Klassizismus, der aus Schladen am Harz stammte, also ein »Landsmann« Hases war. Ein Stipendium der Stadt Einbeck ermöglichte Hase im Wintersemester 1840/1841 die Aufnahme des Studiums an der Münchener Akademie, wo er bei Friedrich von Gärtner (1791–1847) einige Entwürfe ausarbeitete und von dessen Rundbogenstil und Architekturauffassung, zum Beispiel der Verwendung »roher« Ziegel bei der Fassadengestaltung, maßgeblich beeinflußt wurde. Daneben betätigte sich Hase erfolgreich als Kunstmaler. So konnte er 1841 acht Aquarelle nach Hannover schicken, die auf der Kunstausstellung verkauft wurden und ihm 40 Goldtaler einbrachten. Im Wintersemester 1841/1842 studierte Hase an der Akademie besonders den Eisenbahnbau, weil ihm eine entsprechende Tätigkeit in Hannover in Aussicht gestellt wurde.
Über Regensburg, Nürnberg, Bamberg, Coburg und Eisenach wanderte Hase im Frühjahr 1842 zu Fuß zurück nach Hannover. Dort beschäftigte ihn sein ehemaliger Lehrmeister Christoph August Gersting als Maurer und Bauführer am neugotischen, von Laves entworfenen Mausoleum in Hemmingen (Wilkenburg), das als »Ziegelrohbau« ausgeführt wurde und als »Gründungsbau« der Hannoverschen Schule anzusehen ist. Stolz signierte der junge Architekt die eigenhändig von ihm gezeichneten und modellierten Formsteine mit »C. W. Hase 1842«.
Am 2. Februar 1843 konnte Hase endlich mit einer Tätigkeit im Staatsdienst als Bauführer der Königlich Hannoverschen Eisenbahndirektion beginnen; Ende des Jahres 1844 erhielt er den Titel »Eisenbahn-Baukondukteur«. Hase baute unter anderem die Bahnhöfe in Celle, Lehrte und Wunstorf, mußte sich aber wegen der Auswirkungen der 1848er Revolution, die erhebliche Einschränkungen im Eisenbahnbau mit sich brachte, erneut umorientieren, und zwar vom Eisenbahnbau zum Sakralbau: Im Juni 1848 erhielt er den Auftrag zur Restaurierung der Klosterkirche in Loccum. Hase war begeistert von dieser Tätigkeit und wohnte sogar von September 1848 bis November 1849 im Kloster, um die Wiederherstellungsarbeiten an Ort und Stelle leiten zu können.
Der frühe Tod des »Zweiten Lehrers« der Baukunst am Polytechnikum in Hannover, des Ebeling-Mitarbeiters Friedrich Osten (1816–1849), bot Hase die große Chance, ab 1. Dezember 1849 dessen Nachfolger zu werden. Zwei Jahre arbeitete Hase vertretungsweise als Architekturlehrer und wurde dann im Dezember 1851 offiziell benannt. Den Titel »Professor« erhielt er allerdings erst 1878. 1850/1851 und phasenweise auch später leitete er den Hannoverschen Künstler-Verein und gehörte im Jahre 1851 zu den Gründern des Architekten- und Ingenieur-Vereins für das Königreich Hannover, der durch die von ihm herausgegebene Bauzeitschrift wesentlich zur Verbreitung der Ideen der Hannoverschen Schule beitrug. Verschiedene Privataufträge wie das Haus Ahrbeck (1850) und das Hôtel de Russie (1850/51) am Bahnhofsplatz in Hannover festigten seinen Ruf als Architekt.
Den größten Erfolg in seiner bisherigen Laufbahn hatte Hase bei der Beteiligung am ersten freien Architektenwettbewerb in Hannover im Frühjahr 1852 um den Auftrag für das Museum für Kunst und Wissenschaft, aus dem er als Sieger hervorging. Es gelang ihm, seinen langjährigen Konkurrenten, den Hofbaumeister Heinrich Tramm (1819–1861) auf den zweiten Platz zu verweisen. Zusammen mit Hermann Hunaeus (1812–1893), der wie Tramm ebenfalls Gärtner-Schüler gewesen war, unternahm Hase anschließend eine längere Italienreise (Mitte Juli bis Anfang November 1852), von der beide – versehen mit neuen Eindrücken und noch stärker auf den »Rohbau« eingeschworen – zurückkehrten.
In dieser erfolgreichen beruflichen Phase der 1850er Jahre konnte Hase nun auch daran denken, eine Familie zu gründen. Im September 1853 heiratete er die aus einer ungarischen Künstlerfamilie stammende Sängerin Agnes Maria Cornelia Leguinia Babnigg (1828–1865), mit der er die Kinder Antonie (1855–1906), Theodor (1856–1877) und Rudolf (1861–1906) bekam. Viel Zeit für seine junge Familie blieb Hase aber vermutlich nicht, da die Ausführung des Museumsbaus 1853–1856 neben verschiedenen anderen Projekten zu leisten war. Mit polychromer Ziegelverwendung wurde das Museum ein gebautes Manifest der Hannoverschen Schule in der Phase des Rundbogenstils. Hases Freund Hunaeus baute sich und seiner Familie 1856/1857 ein im Rundbogenstil gehaltenes Wohnhaus aus roten Ziegeln im »Rohbau« und veröffentlichte grundlegende Gedanken zur Anlage moderner Einfamilienhäuser.
Hase, der 1858 zum Baurat ernannt wurde, war durch den Museumsbau »hoffähig« geworden. Er erhielt 1857 den Auftrag, die königliche »Marienburg« bei Nordstemmen »im mittelalterlichen Stil« zu entwerfen (Ausführung durch Hase 1858–1864). Ein weiteres königliches Projekt war 1858 die Christuskirche in Hannover, mit der Hase 1859–1864 – nach verschiedenen Dorfkirchen – erstmals einen neugotischen Monumentalbau im typischen roten Ziegelmauerwerk der Hannoverschen Schule ausführen konnte. Zudem galt die Christuskirche als "Idealkirche" und Musterbau für das Eisenacher Regulativ, das Richtlinien für den Bau protestantischer Kirchen festlegte. Seit 1853 war Hase zum dogmatischen Neugotiker geworden. Im Zusammenhang mit dem Bau der Christuskirche gründete er 1860 nach dem Vorbild der Kölner Dombauhütte die Niedersächsische Bauhütte, die in der »Bauhütte zum weißen Blatt« ab 1880 eine Nachfolge fand. Vereinsvorsitzender blieb Hase bis zu seinem Tode. Kurz nachdem 1861 das dritte Kind geboren war, konnte Hase mit seiner Familie in das eigene Wohnhaus, die 1860/1861 erbaute neugotische »Hasenburg« aus rotem Backstein einziehen. Mit diesem Bau vertrat Hase kompromißlos die Ideale der Hannoverschen Schule.
Bald hatte der bisher so erfolgreiche Hase eine Pechsträhne. 1862 fiel er beim Bau der »Marienburg« verschiedenen Intrigen zum Opfer, verlor den Schloßbau-Auftrag und wurde von seinem Schüler Edwin Oppler abgelöst, der den Bau weiterführen durfte. Der frühe Tod der geliebten Ehefrau im Jahre 1865 betrübte Hase zusätzlich. 1867 schloß er eine zweite Ehe mit Ottilie Franziska Annette Amalie Berckelmann (1832–1920) aus Liebenburg, die kinderlos blieb. 1877 verstarb auch der Sohn Theodor.
Von 1863 bis 1897 bekleidete Hase nebenberuflich das Amt des Konsistorialbaumeisters der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. In dieser Funktion übte er erheblichen Einfluß auf eine Vielzahl von Kirchenbauprojekten im Bereich der hannoverschen Landeskirche aus. Mit vielen eigenen Sakralbauten verbreitete er die Architektur der Hannoverschen Schule erfolgreich über ganz Norddeutschland.
Große Anerkennung erwarb sich Hase 1878–1882 mit der Restaurierung des vom Abriß bedrohten mittelalterlichen Rathauses in Hannover, das er 1890/1891 durch einen stilistisch angepassten Neubau-Flügel in prachtvoller Backstein-Neugotik erweiterte. Der Erfolg der Maßnahme ermutigte auch andere Städte zum Erhalt und Ausbau ihrer mittelalterlichen Rathäuser. Die Vielzahl der Bauprojekte Hases erstreckte sich über sämtliche Bauaufgaben. Ein Schwerpunkt war der Schulbau, mit dem sich Hase auch wissenschaftlich auseinandersetzte.
Als Hase 1898 seinen 80. Geburtstag feierte, konnte er auf ein erfolgreiches Architektenleben zurückblicken. Er wurde von einer Vielzahl von Schülern verehrt, die nicht nur sein fachliches Können, sondern auch sein freundliches und heiteres Wesen schätzten. Am 28. März 1902 starb Conrad Wilhelm Hase im Alter von 83 Jahren, nachdem er sich bis zuletzt geistiger und körperlicher Frische erfreuen durfte.

C.W. Hase, 1898
C. W. Hase, Fotografie 1898
(Stadtarchiv Hannover, hbs) 
Grabmal
Engesohder Friedhof: Grabmal von C. W. Hase und
Amalie Hase geb. Berckelmann
(Aufnahme: G. Kokkelink, 2002)

2. Bedeutung und Ausstrahlung

Viele hundert Kirchen und Kapellen, einige tausend Wohngebäude, Schulen, Hospitäler, Fabriken, Bahnhöfe und sonstige Profanbauten errichteten Hase und seine Schüler vorwiegend in Norddeutschland, aber auch im Ausland. Sie verwendeten dabei einen unverwechselbaren neugotischen Stil, der unter der Bezeichnung »Architektur der Hannoverschen Schule« weltweit bekannt wurde (USA: »Hanovarian Style«; Italien: »Schuola Hanovera«). Das Stadtbild Hannovers wird trotz der Kriegsverluste und Nachkriegsabrisse zum Teil immer noch von der Architektur der Hannoverschen Schule geprägt. Nach einer zehnjährigen Experimentierphase entwickelte Hase um 1860 – erstmals beim Bau des eigenen Wohnhauses – den neuen, eigenständigen Baustil, der damals als aufsehenerregende Neuerung empfunden wurde. Erst um 1900 kam die Ausbreitung dieses Stils zum Stillstand. Aber bereits in den 1920iger Jahren griff der Backstein-Expressionismus die Gestaltprinzipien der Hannoverschen Schule wieder auf: »Rohbau«, Vertikalisierung der Fassaden, Asymmetrien. Hase orientierte seine Architektur an der mittelalterlichen Backsteinarchitektur, strebte aber nach einer neuen, zeitgenössischen Bauweise. Nicht Imitation der Vergangenheit, sondern kreative Weiterentwicklung eines bewährten Bauprinzips und dessen moderne Neuinterpretation waren seine Ziele. Weshalb Hase gerade die Formelemente der mittelalterlichen Backsteingotik – und nicht die der Renaissance wie Gottfried Semper – weiterentwickelte und zu einer neuen, zeitgemäßen Architektur umwandelte, wird von ihm ideologisch untermauert. Er forderte konstruktive Ehrlichkeit, Ablesbarkeit der Nutzung, funktionsgerechte Disposition von Grund- und Aufriß, Sichtbarkeit des Materials (sog. »Rohbau«), Ablesbarkeit der Konstruktionsweise, Entwerfen von innen nach außen. Diese Ziele, die er unter der Losung »Wahrheit in der Kunst« zusammenfasste, fand er in der Gotik am deutlichsten verwirklicht. Für ihn war die Gotik auch in moralisch-politischer Hinsicht ein Vorbild für die eigene Zeit. Hase betrachtete sie als Inbegriff einer »deutschen« Architektur und als höchste Entwicklungsstufe einer das Christentum symbolisierenden Formensprache, die – wie er meinte – der herrschenden Moral seiner Zeit entspräche. Die Rezeption klassischer Architektur der griechisch-römischen Antike, von der die vergangenen Epochen der Renaissance, des Barock und Klassizismus geprägt waren, sei dagegen abzulehnen als Akt der Aneignung fremdländischen, heidnischen Kulturgutes. Diese national-christliche Apologie hatte Hase von früheren Architekturtheoretikern der Neugotik übernommen, besonders von Augustus Welby Northmore Pugin, August Reichensperger und Georg Gottlieb Ungewitter. Auch aus der Theorie des vorhergehenden Rundbogenstils stammen einige Elemente seiner Auffassung, so vor allem der Gedanke, man müsse einen Universalstil für alle Bauaufgaben erarbeiten – im Gegensatz zum Klassizismus, der die Austauschbarkeit der Stile befürwortet hatte. Da die früheren neugotischen Schulen – durch den Tod ihrer Begründer (Beispiel: Stadt Kassel und Ungewitter) oder aufgrund anderer Umstände – an Bedeutung verloren, war Hannover lange Zeit – neben Wien – das einzige deutschsprachige Zentrum der neugotischen Architektur. Hase erlebte einen starken Zulauf von Studenten aus dem In- und Ausland. Erst als einige seiner Schüler als Professoren nach Berlin berufen wurden (Christoph Hehl, Johannes Otzen, Johannes Vollmer), entstand ein Nebenzentrum, das besonders in den ostdeutschen Raum ausstrahlte. Weil Hase etwa fünfzig Jahre lang zäh an seinen Grundthesen festhielt und sich kaum von wilhelminischer Dekorationslust und -üppigkeit beeinflussen ließ, spielte er – neben William Morris, Wagner und anderen – eine wichtige Rolle als Überträger der Idee von der konstruktiven, materiellen und funktionalen Ehrlichkeit vom 19. ins 20. Jahrhundert. Seine Grundsätze tauchen sinngemäß im Bauhaus-Manifest wieder auf, das Walter Gropius 1919 verfasste. Materialwahrheit forderten Hase und seine Schüler nicht nur für die Außenarchitektur, sondern auch für die Ausstattung. Möbel aus naturbelassenem Holz mit unverkleideten Dreiecks- und Zapfverbindungen kennzeichneten ihr Streben nach Wahrhaftigkeit. Diese Auffassung beeinflußte nachfolgende Architekten- und Designer-Generationen und ist noch heute in der Möbelproduktion spürbar. Von seinen Studenten und Kollegen als charismatische Lehrerpersönlichkeit hoch verehrt, von den Zeitgenossen bewundert, im 20. Jahrhundert aber als »Historizist« abgelehnt, hat Conrad Wilhelm Hase heute seinen verdienten Platz in der Architekturgeschichtsschreibung gefunden.

3. Ämter, Ehrungen und Mitgliedschaften

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