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1. Anmerkungen zum Gutachten und Entwurf (1873)

Die von dem Baudirektor der Hansestadt Lübeck Carl Julius Krieg 1868–1869 ausgeführte Restaurierung der Westfassade des zum Langen Haus des Rathauses gehörigen Kriegsstubenbaus wurde vom Architekten-Verein Berlin scharf kritisiert, als dieser auf einer Exkursion die Stadt Lübeck am 28. August 1871 besichtigte. In einer Entgegnung vom 17. September 1871 setzte sich der Baudirektor zur Wehr und konstatierte, er habe sich bei dieser Restaurierung streng an den vorhandenen bauhistorischen Befunden orientiert. Aufgrund dieser Auseinandersetzung sah sich der Senat der Hansestadt Lübeck veranlasst, eine »planmäßige Herstellung des ganzen Gebäudes« zu beschließen, und bewilligte eine jährliche Bausumme von 8000 Mark für die folgenden fünf Jahre. Dementsprechend erarbeitete der Baudirektor Krieg 1872 ein Planungskonzept und schlug vor, zunächst die Ostfassade an der Breiten Straße und – als zweiten Bauabschnitt – die Nordfassade wiederherzustellen. Um Fehlplanungen zu vermeiden, forderte der Senat den »damals in Norddeutschland einflußreichsten Gotiker« Baurat Conrad Wilhelm Hase in Hannover auf, ein Konzept für die Restaurierung des Rathauses auszuarbeiten.
Am 1. Februar 1873 legte Conrad Wilhelm Hase ein umfangreiches Gutachten vor, bestehend aus einer bauhistorischen Darstellung, sowie Rekonstruktions- und Bauzeichnungen. Dieses Gutachten ging später verloren. Von einem Vortrag über sein Gutachten, den Hase am 12. März 1873 im Architekten- und Ingenieur-Verein Hannover hielt, ist dagegen ein ausführliches Protokoll erhalten. Daraus geht hervor, daß Hase die Baugeschichte des Rathauses in wesentlichen Aspekten richtig darstellte, aber für die Rekonstruktion des aus drei parallel überdachten Langhäusern bestehenden Hauptgebäudes eine Hypothese entwickelte, die sich später partiell als nicht haltbar erwies. Hase nahm an, der Hauptbau hätte ursprünglich an allen vier Seiten jene hohen repräsentativen Fassaden gehabt, wie an der Nord- und Südseite. Anhand bauhistorischer Vergleiche mit anderen europäischen Rathäusern gelangte er zu der Annahme, der Hauptbau sei ursprünglich eine Vierflügelanlage mit Innenhof gewesen, wie z. B. der Palazzo Vecchio in Florenz. Ausdrücklich betrachtete er seine Rekonstruktionsidee aber als Hypothese und sprach von einem »mutmaßlich einstigen Zustand«.
Hierauf beauftragte der Lübecker Senat seinen Archivleiter Carl Friedrich Wehrmann (1809–1898), »die früheren baulichen Zustände des hiesigen Rathauses« genauer zu erforschen. Am 22. April 1873 (mit Nachtrag vom 20. Mai 1873) legte Wehrmann seine Ermittlungen unter dem Titel Beiträge zur Geschichte des Rathauses vor (handschriftlich, nicht erhalten). Er gelangte zu Ergebnissen, die von Rekonstruktionsidee Hases teilweise abwichen. Sein Bericht war später Grundlage für weitergehende baugeschichtliche Erörterungen.
Im Architekten- und Ingenieur-Verein Hannover hielt Conrad Wilhelm Hase am 23. Juni 1875 einen Vortrag über norddeutsche Rathäuser. Darin erklärte er, seine damaligen Thesen könne er zwar nicht in allen Details belegen, aber seine Annahme, der Hauptbau des Lübecker Rathauses habe einst einen Innenhof gehabt, sei durch örtliche Mauerwerksuntersuchungen bestätigt worden. Diese Annahme werde außerdem gestützt durch Vergleiche mit dem Rathaus in Stralsund und mit anderen norddeutschen Rathausbauten des 13.–15. Jahrhunderts.

2. Anmerkungen zur teilweisen Realisierung der Restaurierung am Langen Haus (1873–1876)

Als Conrad Wilhelm Hase 1873 sein Gutachten einschließlich der zugehörigen Bauzeichnungen einreichte, wollte der Baudirektor der Hansestadt Lübeck, Carl Julius Krieg, gerade mit der Wiederherstellung der Ostfassaden entlang der Breiten Straße beginnen (siehe oben). Zu diesem Zeitpunkt war das Konzept von Conrad Wilhelm Hase noch nicht angezweifelt worden und besaß Vorbildfunktion. Daher sah sich der Senat veranlasst, die für das Frühjahr 1873 vorgesehene Erneuerung der Ostfassade des Langen Hauses nicht nach dem Entwurf von Krieg, sondern nach dem Entwurf von Hase ausführen zu lassen. Es handelte sich um das nördliche Teilstück des Langen Hauses zwischen Hauptbau und Kriegsstubenbau. Hier hatte Hase eine Höhenentwicklung vorgesehen, bestehend aus drei großen Zwerchhäusern in der Dachzone, die mit reich ornamentierten Backsteingiebeln versehen waren. Dieser Teil des Entwurfes wurde bis 1876 ausgeführt.
Im Jahre 1953 wurde die »Türmchenarchitektur« in der Dachzone des Langen Hauses beseitigt und eine einfache geradlinige Traufe hergestellt.

Literatur:

Fachzeitschriften:

Quellen:

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