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Polizeiverordnung über Anlage, Bau und Einrichtung von öffentlichen und Privat-Kranken-,
Entbindungs- und Irrenanstalten
Auf Grund der §§. 6, 12 und 13 der Verordnung vom 20. September 1867 (Gesetz-Sammlung Seite 1529) und des §. 137 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz-Sammlung Seite 195) wird hiermit unter Zustimmung des Provinzialrathes für den Umfang der Provinz Hannover nachstehende Polizei-Verordnung erlassen.
Im Sinne dieser Verordnung werden die Krankenanstalten unterschieden als:

Für die Anlage, den Bau und die Einrichtung von öffentlichen und Privat-Kranken, Entbindungs- und Irren-Anstalten, sowie für den Umbau und die Erweiterung bestehender Anstalten dieser Art gelten folgende Vorschriften.

 

I. Anlage und Bau.

§. 1. Die Krankenanstalt muß thunlichst frei und entfernt von Betrieben liegen, welche geeignet sind, den Zweck der Anstalt zu beeinträchtigen. Der Baugrund muß in gesundheitlicher Beziehung einwandsfrei sein.
Die Frontwände der Krankengebäude müssen untereinander mindestens 20,00 Meter und von anderen Gebäuden mindestens 10,00 Meter entfernt bleiben.
Vor den Fenstern der Krankenzimmer muß mindestens ein solcher Freiraum verbleiben, daß die Umfassungswände und Dächer gegenüberliegender nicht über eine Luftlinie hinausgehen, welche in der Fußbodenhöhe der Krankenzimmer von der Frontwand aus unter einem Winkel von 30 Grad zur Horizontale gezogen wird. Wenn diese Fenster benachbarten, nicht zur Anstalt gehörigen Grundstücken gegenüberliegen, so sind an der Grenze dieser Grundstücke Gebäude von der größten, nach den örtlichen Bauordnungen zulässigen Höhe auch dann als vorhanden anzunehmen, wenn die Grenzen unbebaut oder nicht bis zur zulässigen Höhe bebaut sind.
Für kleine Krankenanstalten im Innern von Städten kann ein größerer Neigungswinkel zugelassen werden, welcher jedoch nicht über 45 Grad hinaus gehen darf.
Bei Einheitsbauten (sogenanntes Korridorsystem) sind ringsumschlossene Höfe unzulässig.

§. 2. Flure und Gänge müssen mindestens 1,80 Meter breit sein; die Gänge sollen in der Regel einseitig angelegt werden. Mittelgänge sind nur unter der Bedingung zulässig, daß sie reichliches Licht unmittelbar von außen erhalten und gut lüftbar sind.

§. 3. Die für die Aufnahme von Kranken bestimmten Räume müssen mindestens 1,00 Meter über dem höchsten bekannten Grundwasserstande liegen und in der ganzen Grundfläche gegen das Eindringen von Bodenfeuchtigkeit gesichert sein. Räume, deren Fußboden unter der anschließenden Erdoberfläche liegt, dürfen mit Kranken nicht belegt werden.
Krankenzimmer, welche das Tageslicht nur von einer Seite erhalten, dürfen in der Regel nicht nach Norden liegen.
Die Wände in Operations- und Entbindungszimmern, sowie in solchen Räumen, in welchen Personen mit ansteckenden Krankheiten untergebracht werden, sind zur Erleichterung der Desinfektion glatt und mit ausgerundeten Ecken herzustellen.

§. 4. Die Treppen sollen feuersicher und mindestens 1,30 Meter breit sein, die Stufen mindestens 28 Zentimeter Auftrittsbreite und höchstens 16 Zentimeter Steigung haben. Die Treppenhäuser müssen Licht und Luft unmittelbar von außen erhalten.
Die Fußböden aller von Kranken benutzten Räume sind möglichst wasserdicht herzustellen.

§5. Die Krankenzimmer, alle von den Kranken benutzten Nebenräume, Flure, Gänge und Treppen müssen mit Fenstern versehen werden; die Fensterfläche soll in Krankenzimmern mindestens 1,50 Quadratmeter auf jedes Bett einschließlich der Lagerstellen für Wärter betragen.

§. 6. Für jedes Bett (Lagerstelle) ist in Zimmern für mehrere Kranke ein Luftraum von mindestens 35,00 Kubikmetern bei 7,50 Quadratmetern Bodenfläche und in Einzelzimmern von mindestens 45,00 Kubikmetern bei 10,00 Quadratmetern Bodenfläche zu fordern.
Mehr als 30 Betten (Lagerstellen) dürfen in einem Krankenzimmer nicht aufgestellt werden.

 

II. Innere Einrichtung.

§. 7. In jeder Krankenanstalt muß für jede Abtheilung oder für jedes Geschoß mindestens ein geeigneter Tageraum für zeitweise nicht bettlägerige, in gemeinsamer Pflege befindliche Kranke eingerichtet werden, dessen Größe auf mindestens 2,00 Quadratmeter für das Krankenbett zu bemessen ist.
Außerdem muß ein mit Gartenanlagen versehener Erholungsplatz von mindestens 10,00 Quadratmetern Fläche für jedes Krankenbett vorgesehen werden.

§. 8. Für Irrenanstalten gilt anstatt der Bestimmungen in dem §. 6 Absatz 1 und §. 7 Folgendes:

  1. In Anstalten mit mehr als 10 Betten müssen ausnahmslos Tageräume und Erholungsplätze vorgesehen werden.
  2. Bei Anstalten, welche Tageräume haben, darf die Größe des Luftraumes in den Schlafzimmern für den Kopf nicht unter 20,00 Kubikmeter bei 3,00 bis 4,50 Metern lichter Höhe betragen, außerdem müssen in den Tageräumen bei gleicher Höhe mindestens 4,00 Quadratmeter Grundfläche für den Kopf vorhanden sein. Bei Kranken unter 14 Jahren genügen für den Kopf in den Schlafzimmern 15,00 Kubikmeter Luftraum, in den Tageräumen 3,00 Quadratmeter Grundfläche.
  3. Anstalten, welche keine Tageräume haben, müssen für jeden Kranken 35,00 Kubikmeter Luftraum, bei Personen unter 14 Jahren je 27,00 Kubikmeter Luftraum darbieten.
  4. Befinden sich in der Anstalt bettlägerige, laute sich vernachlässigende oder nicht saubere Kranke, so muß für jeden derselben in den Schlafzimmern mindestens 35,00 Kubikmeter Luftraum, für jeden nicht Bettlägerigen 5,00 Quadratmeter Grundfläche in den Tageräumen vorhanden sein. Bei Kranken solcher Art unter 14 Jahren genügen für den Kopf in den Schlafzimmern 27,00 Kubikmeter Luftraum und für jeden nicht Bettlägerigen in den Tageräumen 4,00 Quadratmeter Grundfläche.
  5. Zur Absonderung störender Kranker muß mindestens ein Einzelraum vorhanden sein, dessen Luftraum nicht unter 40,00 Kubikmeter betragen darf.
  6. Der Erholungsplatz muß schattig sein und mindestens 30,00 Quadratmeter Fläche für den Kopf enthalten.

§. 9. Allen Krankenzimmern und von Kranken benutzten Nebenräumen ist während der Heizperiode frische vorgewärmte Luft aus dem Freien zuzuführen. Die verbrauchte Luft muß in geeigneter Weise abgeführt werden. Als Mindestmaß der Lufterneuerung sind 40,00 Kubikmeter für jedes Bett (Lagerstelle) in der Stunde zu fordern.

§. 10. Der obere Theil der Fenster der Krankenzimmer, der von den Kranken benutzten Nebenräume, der Flure, Gänge und Treppen muß leicht zu öffnen sein und mit Lüftungseinrichtungen versehen werden.

§. 11. Für alle Krankenzimmer, von Kranken benutzten Nebenräumen, Flure und Gänge muß in genügender Weise gleichmäßige Erwärmung vorgesehen werden. Hierbei ist jeder Belästigung durch strahlende Wärme vorzubeugen und jede Staubentwicklung bei der Bedienung der Heizeinrichtung, jede Ueberhitzung der Luft an den Heizflächen und jede Beimengung von Rauchgasen thunlichst auszuschließen.

§. 12. Für jedes Krankenbett müssen mindestens 300 Liter gesundheitlich einwandfreies Wasser täglich geliefert werden können. Sollte die Beschaffung dieser Menge mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein, so kann das Maß bis auf 150 Liter verringert werden.
Die Wasserbezugsquelle, sowie die dazu gehörige Leitung sind nach Lage und Fassung gegen jede Verunreinigung durch Krankheits- oder Abfallstoffe zu sichern.

§. 13. Die Entwässerung und die Entfernung der Abfallstoffe muß in gesundheitlich unschädlicher Weise erfolgen.
Die Fäkalien sind durch Abfallrohre entweder mittels Abfuhr oder mittels Schwemmung unter Wahrung der Reinheit der Luft in den Gebäuden und unter Verhütung jeder Bodenverunreinigung zu beseitigen.
Abtrittsgruben sind unzulässig.
Trockene Abfälle und Kehricht sind in dichten verschließbaren Gruben oder Behältern zu sammeln und so oft abzufahren, daß keine Ueberfüllung der Behälter eintritt.
Ansteckungsverdächtige Auswurfsstoffe müssen sofort unschädlich beseitigt werden.

§. 14. Die Aborte sind von den Krankenzimmern durch einen Vorraum zu trennen, welcher, wie der Abort selbst, hell und lüftbar sein muß.

§. 15. In jeder Krankenanstalt ist bei einer Belegzahl bis zu 30 Betten mindestens ein Baderaum für ein Vollbad, bei einer größeren Belegzahl für mindestens je 30 Betten ein Baderaum zu beschaffen.

§. 16. In Krankenanstalten, in welchen chirurgische Operationen ausgeführt zu werden pflegen, ist bei einer Belegzahl von mehr als 50 Betten mindestens ein besonderes Operationszimmer einzurichten.
Ein solches kann auch bei kleineren Anstalten nach Lage der Verhältnisse verlangt werden.

§. 17. In Entbindungsanstalten mit mehr als 4 Betten ist ein besonderes Entbindungszimmer einzurichten.

 

III. Nebengebäude.

§. 18. Für große Anstalten sind die Wirthschaftsräume in einem besonderen Gebäude unterzubringen.

§. 19. Jede Krankenanstalt muß eine eigene, ausschließlich für deren Insassen bestimmte Waschküche haben.
Ohne vorherige Desinfektion darf inficierte Wäsche nicht außerhalb der Anstalt gereinigt werden.

§. 20. Für große und mittlere Anstalten ist in einem besonderen, nur für diesen Zweck bestimmten Gebäude eine geeignete Desinfektionseinrichtung vorzusehen, sofern nicht am Orte oder in dessen Nachbarschaft eine öffentliche Desinfektionsanstalt zur Verfügung steht.

§. 21. Zur Unterbringung von Leichen ist in allen Anstalten ein besonderer Raum herzustellen, welcher lediglich diesem Zwecke dient und dem Anblick der Kranken möglichst entzogen ist. Für große und mittlere Anstalten ist ein besonderes Leichenhaus mit Sektionszimmer erforderlich.
Leichenhaus und Desinfektionshaus dürfen unter einem Dach unter der Voraussetzung angeordnet werden, daß beide Anlagen durch eine vom Erdboden bis zur Dachfirst reichende massive, undurchbrochene Wand getrennt werden.

 

IV. Unterbringung der Kranken.

§22. In allen Anstalten müssen männliche und weibliche Kranke, abgesehen von Kindern bis zu 10 Jahren, in getrennten Räumen, in großen und mittleren Anstalten in getrennten Abtheilungen untergebracht werden.

§. 23. Für Kranke, welche an ansteckenden, insbesondere akuten Krankheiten leiden, sind in großen und mittleren Krankenanstalten ein oder mehrere Absonderungshäuser, in kleinen Anstalten mindestens abgesonderte Räume, wenn möglich in besonderen Stockwerken vorzusehen.
In Irrenanstalten muß mindestens ein Zimmer für ansteckende Erkrankungen zu Gebote stehen.

§. 24. In öffentlichen, sowie in großen und mittleren Privat-Krankenanstalten muß für die vorübergehende Unterbringung eines Geisteskranken ein geeigneter Raum mit der erforderlichen Einrichtung vorhanden sein.

§. 25. Zur Feststellung von ansteckenden Krankheiten ist in großen und mittleren öffentlichen Anstalten eine eigene Beobachtungsstation einzurichten.

 

V. Schluß und Strafbestimmungen.

§. 26. Die Vorschriften der örtlichen Baupolizeiordnungen bleiben insoweit in Kraft, als sie nicht durch die vorstehenden Bestimmungen abgeändert werden.

§. 27. Von den Bestimmungen des §. 1 Absatz 1-4, der §§. 2, 4, 5, des §. 6 Absatz 1, der §§. 7 Nr. 2 und 6, 9, 12 Absatz 1, §§. 13 Absatz 1 und 2, §§. 16, 19 Absatz 1, §§ 20 und 21 kann der Regierungs-Präsident in besonderen Fällen Ausnahmen zulassen.

§. 28. Zuwiderhandlungen gegen diese Polizeiverordnung werden, sofern nach den bestehenden Gesetzen keine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu 60 Mark, eventuell verhältnismäßiger Haft geahndet.
Daneben bleibt die Polizeibehörde befugt, die Herstellung vorschriftsmäßiger Zustände herbeizuführen.

Hannover, den 19. November 1895.

Der Ober-Präsident,
Wirkliche Geheime Rath
Rudolf von Bennigsen

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