Für die Anlage, den Bau und die Einrichtung von öffentlichen und Privat-Kranken, Entbindungs- und Irren-Anstalten, sowie für den Umbau und die Erweiterung bestehender Anstalten dieser Art gelten folgende Vorschriften.
I. Anlage und Bau.
§. 1. Die Krankenanstalt muß thunlichst frei und entfernt von Betrieben liegen, welche geeignet sind,
den Zweck der Anstalt zu beeinträchtigen. Der Baugrund muß in gesundheitlicher Beziehung einwandsfrei sein.
Die Frontwände der Krankengebäude müssen untereinander mindestens 20,00 Meter und von anderen Gebäuden mindestens
10,00 Meter entfernt bleiben.
Vor den Fenstern der Krankenzimmer muß mindestens ein solcher Freiraum verbleiben, daß die Umfassungswände und Dächer
gegenüberliegender nicht über eine Luftlinie hinausgehen, welche in der Fußbodenhöhe der Krankenzimmer von der Frontwand
aus unter einem Winkel von 30 Grad zur Horizontale gezogen wird. Wenn diese Fenster benachbarten, nicht zur Anstalt
gehörigen Grundstücken gegenüberliegen, so sind an der Grenze dieser Grundstücke Gebäude von der größten, nach den
örtlichen Bauordnungen zulässigen Höhe auch dann als vorhanden anzunehmen, wenn die Grenzen unbebaut oder nicht bis
zur zulässigen Höhe bebaut sind.
Für kleine Krankenanstalten im Innern von Städten kann ein größerer Neigungswinkel zugelassen werden, welcher jedoch
nicht über 45 Grad hinaus gehen darf.
Bei Einheitsbauten (sogenanntes Korridorsystem) sind ringsumschlossene Höfe unzulässig.
§. 2. Flure und Gänge müssen mindestens 1,80 Meter breit sein; die Gänge sollen in der Regel einseitig angelegt werden. Mittelgänge sind nur unter der Bedingung zulässig, daß sie reichliches Licht unmittelbar von außen erhalten und gut lüftbar sind.
§. 3. Die für die Aufnahme von Kranken bestimmten Räume müssen mindestens 1,00 Meter über dem höchsten
bekannten Grundwasserstande liegen und in der ganzen Grundfläche gegen das Eindringen von Bodenfeuchtigkeit gesichert
sein. Räume, deren Fußboden unter der anschließenden Erdoberfläche liegt, dürfen mit Kranken nicht belegt werden.
Krankenzimmer, welche das Tageslicht nur von einer Seite erhalten, dürfen in der Regel nicht nach Norden liegen.
Die Wände in Operations- und Entbindungszimmern, sowie in solchen Räumen, in welchen Personen mit ansteckenden
Krankheiten untergebracht werden, sind zur Erleichterung der Desinfektion glatt und mit ausgerundeten Ecken herzustellen.
§. 4. Die Treppen sollen feuersicher und mindestens 1,30 Meter breit sein, die Stufen mindestens 28 Zentimeter
Auftrittsbreite und höchstens 16 Zentimeter Steigung haben. Die Treppenhäuser müssen Licht und Luft unmittelbar von
außen erhalten.
Die Fußböden aller von Kranken benutzten Räume sind möglichst wasserdicht herzustellen.
§5. Die Krankenzimmer, alle von den Kranken benutzten Nebenräume, Flure, Gänge und Treppen müssen mit Fenstern versehen werden; die Fensterfläche soll in Krankenzimmern mindestens 1,50 Quadratmeter auf jedes Bett einschließlich der Lagerstellen für Wärter betragen.
§. 6. Für jedes Bett (Lagerstelle) ist in Zimmern für mehrere Kranke ein Luftraum von mindestens
35,00 Kubikmetern bei 7,50 Quadratmetern Bodenfläche und in Einzelzimmern von mindestens 45,00 Kubikmetern
bei 10,00 Quadratmetern Bodenfläche zu fordern.
Mehr als 30 Betten (Lagerstellen) dürfen in einem Krankenzimmer nicht aufgestellt werden.
II. Innere Einrichtung.
§. 7. In jeder Krankenanstalt muß für jede Abtheilung oder für jedes Geschoß mindestens ein
geeigneter Tageraum für zeitweise nicht bettlägerige, in gemeinsamer Pflege befindliche Kranke eingerichtet werden,
dessen Größe auf mindestens 2,00 Quadratmeter für das Krankenbett zu bemessen ist.
Außerdem muß ein mit Gartenanlagen versehener Erholungsplatz von mindestens 10,00 Quadratmetern Fläche für jedes
Krankenbett vorgesehen werden.
§. 8. Für Irrenanstalten gilt anstatt der Bestimmungen in dem §. 6 Absatz 1 und §. 7 Folgendes:
§. 9. Allen Krankenzimmern und von Kranken benutzten Nebenräumen ist während der Heizperiode frische vorgewärmte Luft aus dem Freien zuzuführen. Die verbrauchte Luft muß in geeigneter Weise abgeführt werden. Als Mindestmaß der Lufterneuerung sind 40,00 Kubikmeter für jedes Bett (Lagerstelle) in der Stunde zu fordern.
§. 10. Der obere Theil der Fenster der Krankenzimmer, der von den Kranken benutzten Nebenräume, der Flure, Gänge und Treppen muß leicht zu öffnen sein und mit Lüftungseinrichtungen versehen werden.
§. 11. Für alle Krankenzimmer, von Kranken benutzten Nebenräumen, Flure und Gänge muß in genügender Weise gleichmäßige Erwärmung vorgesehen werden. Hierbei ist jeder Belästigung durch strahlende Wärme vorzubeugen und jede Staubentwicklung bei der Bedienung der Heizeinrichtung, jede Ueberhitzung der Luft an den Heizflächen und jede Beimengung von Rauchgasen thunlichst auszuschließen.
§. 12. Für jedes Krankenbett müssen mindestens 300 Liter gesundheitlich einwandfreies Wasser täglich geliefert
werden können. Sollte die Beschaffung dieser Menge mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein, so kann das Maß bis
auf 150 Liter verringert werden.
Die Wasserbezugsquelle, sowie die dazu gehörige Leitung sind nach Lage und Fassung gegen jede Verunreinigung durch
Krankheits- oder Abfallstoffe zu sichern.
§. 13. Die Entwässerung und die Entfernung der Abfallstoffe muß in gesundheitlich unschädlicher Weise erfolgen.
Die Fäkalien sind durch Abfallrohre entweder mittels Abfuhr oder mittels Schwemmung unter Wahrung der Reinheit der Luft in
den Gebäuden und unter Verhütung jeder Bodenverunreinigung zu beseitigen.
Abtrittsgruben sind unzulässig.
Trockene Abfälle und Kehricht sind in dichten verschließbaren Gruben oder Behältern zu sammeln und so oft abzufahren, daß
keine Ueberfüllung der Behälter eintritt.
Ansteckungsverdächtige Auswurfsstoffe müssen sofort unschädlich beseitigt werden.
§. 14. Die Aborte sind von den Krankenzimmern durch einen Vorraum zu trennen, welcher, wie der Abort selbst, hell und lüftbar sein muß.
§. 15. In jeder Krankenanstalt ist bei einer Belegzahl bis zu 30 Betten mindestens ein Baderaum für ein Vollbad, bei einer größeren Belegzahl für mindestens je 30 Betten ein Baderaum zu beschaffen.
§. 16. In Krankenanstalten, in welchen chirurgische Operationen ausgeführt zu werden pflegen, ist bei
einer Belegzahl von mehr als 50 Betten mindestens ein besonderes Operationszimmer einzurichten.
Ein solches kann auch bei kleineren Anstalten nach Lage der Verhältnisse verlangt werden.
§. 17. In Entbindungsanstalten mit mehr als 4 Betten ist ein besonderes Entbindungszimmer einzurichten.
III. Nebengebäude.
§. 18. Für große Anstalten sind die Wirthschaftsräume in einem besonderen Gebäude unterzubringen.
§. 19. Jede Krankenanstalt muß eine eigene, ausschließlich für deren Insassen bestimmte Waschküche haben.
Ohne vorherige Desinfektion darf inficierte Wäsche nicht außerhalb der Anstalt gereinigt werden.
§. 20. Für große und mittlere Anstalten ist in einem besonderen, nur für diesen Zweck bestimmten Gebäude eine geeignete Desinfektionseinrichtung vorzusehen, sofern nicht am Orte oder in dessen Nachbarschaft eine öffentliche Desinfektionsanstalt zur Verfügung steht.
§. 21. Zur Unterbringung von Leichen ist in allen Anstalten ein besonderer Raum herzustellen, welcher lediglich
diesem Zwecke dient und dem Anblick der Kranken möglichst entzogen ist. Für große und mittlere Anstalten ist ein besonderes
Leichenhaus mit Sektionszimmer erforderlich.
Leichenhaus und Desinfektionshaus dürfen unter einem Dach unter der Voraussetzung angeordnet werden, daß beide Anlagen
durch eine vom Erdboden bis zur Dachfirst reichende massive, undurchbrochene Wand getrennt werden.
IV. Unterbringung der Kranken.
§22. In allen Anstalten müssen männliche und weibliche Kranke, abgesehen von Kindern bis zu 10 Jahren, in getrennten Räumen, in großen und mittleren Anstalten in getrennten Abtheilungen untergebracht werden.
§. 23. Für Kranke, welche an ansteckenden, insbesondere akuten Krankheiten leiden, sind in großen und mittleren
Krankenanstalten ein oder mehrere Absonderungshäuser, in kleinen Anstalten mindestens abgesonderte Räume, wenn möglich in
besonderen Stockwerken vorzusehen.
In Irrenanstalten muß mindestens ein Zimmer für ansteckende Erkrankungen zu Gebote stehen.
§. 24. In öffentlichen, sowie in großen und mittleren Privat-Krankenanstalten muß für die vorübergehende Unterbringung eines Geisteskranken ein geeigneter Raum mit der erforderlichen Einrichtung vorhanden sein.
§. 25. Zur Feststellung von ansteckenden Krankheiten ist in großen und mittleren öffentlichen Anstalten eine eigene Beobachtungsstation einzurichten.
V. Schluß und Strafbestimmungen.
§. 26. Die Vorschriften der örtlichen Baupolizeiordnungen bleiben insoweit in Kraft, als sie nicht durch die vorstehenden Bestimmungen abgeändert werden.
§. 27. Von den Bestimmungen des §. 1 Absatz 1-4, der §§. 2, 4, 5, des §. 6 Absatz 1, der §§. 7 Nr. 2 und 6, 9, 12 Absatz 1, §§. 13 Absatz 1 und 2, §§. 16, 19 Absatz 1, §§ 20 und 21 kann der Regierungs-Präsident in besonderen Fällen Ausnahmen zulassen.
§. 28. Zuwiderhandlungen gegen diese Polizeiverordnung werden, sofern nach den bestehenden Gesetzen
keine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu 60 Mark, eventuell verhältnismäßiger Haft geahndet.
Daneben bleibt die Polizeibehörde befugt, die Herstellung vorschriftsmäßiger Zustände herbeizuführen.
Hannover, den 19. November 1895.
Der Ober-Präsident,
Wirkliche Geheime Rath
Rudolf von Bennigsen
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