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  • Bauherr: Norddeutsche Knappschafts-Pensionskasse zu Halle/Saale
  • Architekt: Gustav Hasse
  • Bauzeit: 1896-1897
  • Konzession: 17. Mai 1899
  • Eröffnung: 17. Januar 1898 (provisorische Aufnahme von Knappschafts-Patienten)
  • Bettenzahl: 10 Betten
  • Leitender Arzt: Sanitätsrat Dr. med. Emil Kremser
  • Besitzer: Norddeutsche Knappschafts-Pensionskasse zu Halle/Saale
  • Schließung: um 1918
 

Über das Sanatorium Dr. Kremser für Leichtlungenkranke berichtet der Bäder-Almanach in der Ausgabe von 1907:

»Das Sanatorium liegt zwei Kilometer vom Orte Sülzhayn entfernt, völlig geschützt gegen widrige Ost-, Nord- und Westwinde an einem Bergabhange in 450m Höhe über dem Meere, direkt umschlossen von den Bergen des Südharzes bis zu 645m Erhebung, mit einem herrlichen Fernblick in das nach Süden sich öffnende, weite und schöne Tal bis hin an den Horizont zur Hainleite und den Vorbergen Thüringens. Fern jeder verkehrsreichen Strasse und bewohnten Stätten, mitten in herrlichsten, meilenweiten Waldungen gelegen, umgibt dasselbe dauernd staubfreie Luft mit starkem Ozongehalt. Eine eigene Hochquelleitung liefert in reichlicher Menge ein erfrischendes und völlig einwandfreies Trink- und Gebrauchswasser.«

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Abb. 1: Knappschafts-Heilstätte, links das Arztwohnhaus und Dr. Kremsers Sanatorium

Topografisch war das Ensemble der Knappschafts-Heilstätte mit Arztwohnhaus und zugehöriger Privatanstalt durchaus ein »Zauberbergidyll« und Monument deutscher Heilstättenfürsorge, aber eben auch architektonischer Ausdruck der Zweiklassenmedizin und relativer medizinischer Hilflosigkeit gegenüber den sozialen Ursachen von Tuberkulose und anderen Lungenkrankheiten. Der Hildesheimer Regierungspräsident Dr. Hugo Schultz charakterisiert in seinem Schreiben vom 3. Februar 1898 an den Landrat in Ilfeld den Zweck beider Anstalten am Steierberg lapidar mit folgenden Worten:

»Nach den Unterlagen, die ich demnächst zurückerbitte, scheinen in Sülzhayn zwei verschiedene Anstalten zur Krankenpflege errichtet und theilweise schon im Betriebe zu sein, nämlich:

  1. die nur Wohlthätigkeitszwecken dienende Erholungsanstalt für Tuberkulöse der Norddeutschen Knappschaftspensionskasse zu Halle und
  2. die derselben Kasse gehörige, dem Anstaltsarzt zur Erzielung pecuniären Gewinns überlassene Privat-Heilanstalt.« —

Die Überlieferungen zu Dr. Kremsers Sanatorium am Steierberg beginnen Ende 1895 in den Mittheilungen der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse:

»Inzwischen hat auch die Arztfrage eine sehr erfreuliche Lösung gefunden, indem ein älterer, durch langjährige, umfangreiche Praxis geschulter Arzt sich zur Uebernahme der Leitung unserer Anstalt bereit erklärt hat, gegen ein mäßiges Honorar und die Erlaubniß, sich selbst in der Nähe unserer Anstalt auf seine Kosten ein Wohnhaus und eine eigene kleine Anstalt zu errichten.«

Die Wahl von Emil Kremser zum leitenden Arzt der Heilstätte Sülzhayn war nicht das Ergebnis eines vorangegangenen öffentlichen Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahrens, sondern eine allein von Paul Stieber gefasste, am 8. Februar 1896 von der ›Specialkommission für den Bau der Heilstätte‹ legitimierte Personalentscheidung. Beider gemeinsame berufliche Vergangenheit in Wandsbek und ein daraus resultierendes Vertrauensverhältnis spielten dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die Angliederung einer Privatanstalt an das Arztwohnhaus der Knappschaftsheilstätte war in der ursprünglichen Finanzkalkulationen und Bauplanung nicht vorgesehen. Die private Errichtung eines Wohnhauses mit Sanatorium durch den gewählten Heilstättenarzt konnte aber nicht im langfristigen Interesse der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse sein. Da Arztwohnhäuser von Volksheilstätten grundsätzlich auf dem Anstaltsgelände zur Ausführung kamen, hätte spätestens die Pensionierung von Emil Kremser zu Interessenskonflikten geführt. Deshalb wurde das Arzthaus mit Privatanstalt (einschließlich Zubehör) von vornherein auf Kosten der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse errichtet und Emil Kremser für Zeit seines Wirkens am Steierberg zur Nutzung überlassen. Allein diese bauliche Veränderung verursachte Mehrkosten von 60.000 Mark.
Am 1. April 1897 beendete Emil Kremser seiner Praxistätigkeit in Hamburg-Wandsbek und siedelte in Vorbereitung auf seine neue Position nach Nordhausen (Parkstraße) über. Anfang November 1897 erfolgte der Umzug nach Sülzhayn in das fertiggestellte Arztwohnhaus. Bereits mit der Verlegung des Wohnsitzes von Wandsbek nach Nordhausen begann Emil Kremser die Behandlung von Knappschafts-Versicherten in Sülzhayn und somit die Entwicklung des Dorfes zum Luftkurort. Die Bezeichnung »Luftkurort Sülzhayn« findet sich erstmalig als Überschrift in den Mittheilungen der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse vom 15. Juli 1897. Darunter heißt es:

»Wir haben Anordnung getroffen, daß schon jetzt in dem Dorfe Sülzhayn Patienten, welche einen Luftkurort besuchen sollen, Aufnahme und Pflege finden können unter Controle des zukünftigen Leiters unserer Anstalt, Herrn Dr. Kremser. Es würden dafür besonders Reconvalescenten oder sonstig geschwächte Versicherte in Frage kommen. Der Preis würde etwa 3 Mark täglich betragen. Wir geben den Vereinsvorständen anheim, sich mit Herrn Dr. Kremser in Nordhausen, Parkstraße, in Verbindung zu setzen und uns, soweit die bekannten Voraussetzungen vorhanden sind, wegen Uebernahme der Kosten anzugehen.«

Hintergrund der frühzeitigen Überweisung von erholungsbedürftigen Versicherten (»Pfleglinge«) war die Überlegung, die Knappschafts-Heilstätte zunächst im kleinen Rahmen in Betrieb zu nehmen und somit Dr. Kremser die Möglichkeit zu geben, sich in sein neues Betätigungsfeld einzuarbeiten und Erfahrungen im Heilstättenbetrieb zu sammeln. Mit der Verlegung von 6 im Dorf Sülzhayn untergebrachten Patienten wurde am 17. Januar 1898 die Knappschafts-Heilstätte in den Räumen der späteren Privatanstalt eröffnet.
Die Aufnahme des Heilstättenbetriebes verlief nicht ohne Probleme. Einige Kranke wurden Dr. Kremser 1897 direkt nach Nordhausen in seine Wohnung überwiesen, was stundenlange Bemühungen zur angemessenen Beherbergung der erschöpften Leute zur Folge hatte. Zudem war die Inbetriebnahme der Knappschafts-Heilstätte am 17. Januar 1898 gesetzeswidrig, da versäumt wurde, für die Unterbringung der Versicherten in den als Privatanstalt vorgesehenen Räumen bei der Regierung in Hildesheim die Konzession einzuholen.
Mit der offiziellen Eröffnung der Knappschafts-Heilstätte am 15. Oktober 1898 und deren endgültiger Fertigstellung Anfang 1899 wurden Emil Kremser die Räumlichkeiten am Arztwohnhaus zur Behandlung von Privatpatienten überwiesen, die Konzession am 17. Mai 1899 erteilt. Die wirtschaftliche Leitung übertrug Dr. Kremser seiner Ehefrau Ida Kremser geb. Hoffmann (1866-1930). Das Sanatorium - »nur ›erstklassig‹ für Leichtlungenkranke der gebildeten Stände bestimmt« - war nach damaligen Kriterien auf der Höhe der Zeit eingerichtet:

»Die Krankenzimmer, mit zweckmässigen Möbeln ausgestattet, Fussboden mit Linoleum, z.T. auch Torgament, Wände mit desinfizierender Pestonfarbe und abwaschbaren Tapeten, bester Ventilationsanlage, elektrischer Beleuchtung sowie Niederdruckdampfheizung versehen, liegen fast sämtlich nach der Südseite. Geschützte Liegehallen sind von jedem Krankenzimmer aus entweder durch den dazu gehörigen Balkon oder Korridor denkbar bequem und rasch zu erreichen ... Diese so überaus günstigen klimatischen und hygienischen Verhältnisse des Sanatoriums, die bis 640m Höhe bequem ansteigenden Wege der unmittelbar anliegenden waldreichen Berge, sowie des eigenen 35 Morgen grossen Parkes, elektrische Beleuchtung, Wasserspülung, Kläranlage der Abwässer nach dem Rothe-Degner'schen Kohlenbreiverfahren, Niederdruckdampfheizung, wie zum Teil auch Warmwasseranlagen, Dampfdesinfektionsapparat etc. erfüllen alle Ansprüche an eine mustergültig angelegte Lungenanstalt der Neuzeit, so dass das Sanatorium in einer verhältnismässig kurzen Zeit bereits über die Grenzen des engeren Vaterlandes hinaus zu einem bekannten und bevorzugten Sommer- und Winterkurort mit zeitweise völlig internationalem Verkehr geworden ist. — « (Bäder-Almanach. 1907)

Welchen Anteil der internationale Publikumsverkehr am Patientenaufkommen an Dr. Kremsers Sanatorium tatsächlich hatte, kann aufgrund fehlender Archivalien nicht belegt werden. Schriftlich überliefert ist in diesem Zusammenhang der Kuraufenthalt von Jacobus Henricus van't Hoff (1852–1911). Der lungenkranke Chemiker, der 1901 den ersten Nobelpreis für Chemie erhielt, war vom 25. Juni 1907 bis Mitte Oktober 1907 und von Februar bis März 1908 Patient am Steierberg bei Dr. Kremser. Von nachhaltiger Bedeutung für Sülzhayn war hingegen die Behandlung von Emil Hoffmann (1868–1945), dem Schwager von Dr. Kremser, sowie die Beschäftigung der Volontär-Ärzte Arthur Krause (1873–1911) und Dr. Josef Stein (1877–1961) in der Privatanstalt. Emil Hoffmann, ein Hamburger Kaufmann, baute auf Zureden von Emil Kremser seinen ursprünglich zu privaten Erholungszwecken erworbenen Bauernhof im Oberdorf zur Pension »Badehaus« um, aus der im Jahr 1900 das Sanatorium »Kurhaus« hervorging. Josef Stein übernahm die ärztliche Leitung der neu erbauten Sanatorien »Erholung« und »Hohentanneck« und eröffnete 1913 unter seinem Namen ebenfalls ein Sanatorium in Sülzhayn. Arthur Krause wurde später leitender und wissenschaftlich tätiger Arzt am Sanatorium »Otto Stubbe« und vertrat Dr. Kremser zeitweise bei Abwesenheit in dessen Funktion als Chefarzt der Knappschafts-Heilstätte.

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Abb. 2: Arztwohnhaus und Dr. Kremsers Sanatorium | 2007

Das Sanatorium Dr. Kremser existierte nur wenige Jahre. Als Zeitpunkt der Schließung kann die wirtschaftlich schwere Zeit des Ersten Weltkrieges (Umnutzung der Knappschafts-Heilstätte zum Lazarett) bzw. die unmittelbare Nachkriegszeit angenommen werden. Im Februar 1920 fertigte der hallesche Architekt Friedrich Fahro (1857-1930) im Auftrag der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse schließlich einen »Bauplan zum Umbau der ehemaligen Privatanstalt der Knappschafts-Heilstätte zu Sülzhayn« an, für den im April desselben Jahres die Bauerlaubnis erteilt wurde. Der Gebäudekomplex wurde anschließend bis zur Stillegung 1997 für die Unterbringung von Heilstätten- bzw. Klinikpersonal genutzt.
»Ruinen machen vielen Spaß–.« Dieser Satz aus der Bildergeschichte Die fromme Helene von Wilhelm Busch beschreibt treffend die Situation am Kleinen Steierberg – ein Anziehungspunkt für leichtsinnige Individual-Touristen und Angehörige diverser Subkulturen. Ungesicherte Ruinen fordern zwangsläufig Opfer, auch in der heutigen Spaßgesellschaft. »Es liegt in der menschlichen Natur, vernünftig zu denken und unvernünftig zu handeln.« (Anatole France)

R. Glaß | 2010

Bildnachweis:

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