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Über das Sanatorium Dr. Kremser für Leichtlungenkranke berichtet der Bäder-Almanach in der Ausgabe von 1907: »Das Sanatorium liegt zwei Kilometer vom Orte Sülzhayn entfernt, völlig geschützt gegen widrige Ost-, Nord- und Westwinde an einem Bergabhange in 450m Höhe über dem Meere, direkt umschlossen von den Bergen des Südharzes bis zu 645m Erhebung, mit einem herrlichen Fernblick in das nach Süden sich öffnende, weite und schöne Tal bis hin an den Horizont zur Hainleite und den Vorbergen Thüringens. Fern jeder verkehrsreichen Strasse und bewohnten Stätten, mitten in herrlichsten, meilenweiten Waldungen gelegen, umgibt dasselbe dauernd staubfreie Luft mit starkem Ozongehalt. Eine eigene Hochquelleitung liefert in reichlicher Menge ein erfrischendes und völlig einwandfreies Trink- und Gebrauchswasser.«
Topografisch war das Ensemble der Knappschafts-Heilstätte mit Arztwohnhaus und zugehöriger Privatanstalt durchaus ein »Zauberbergidyll« und Monument deutscher Heilstättenfürsorge, aber eben auch architektonischer Ausdruck der Zweiklassenmedizin und relativer medizinischer Hilflosigkeit gegenüber den sozialen Ursachen von Tuberkulose und anderen Lungenkrankheiten. Der Hildesheimer Regierungspräsident Dr. Hugo Schultz charakterisiert in seinem Schreiben vom 3. Februar 1898 an den Landrat in Ilfeld den Zweck beider Anstalten am Steierberg lapidar mit folgenden Worten: »Nach den Unterlagen, die ich demnächst zurückerbitte, scheinen in Sülzhayn zwei verschiedene Anstalten zur Krankenpflege errichtet und theilweise schon im Betriebe zu sein, nämlich:
Die Überlieferungen zu Dr. Kremsers Sanatorium am Steierberg beginnen Ende 1895 in den Mittheilungen der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse: »Inzwischen hat auch die Arztfrage eine sehr erfreuliche Lösung gefunden, indem ein älterer, durch langjährige, umfangreiche Praxis geschulter Arzt sich zur Uebernahme der Leitung unserer Anstalt bereit erklärt hat, gegen ein mäßiges Honorar und die Erlaubniß, sich selbst in der Nähe unserer Anstalt auf seine Kosten ein Wohnhaus und eine eigene kleine Anstalt zu errichten.« Die Wahl von Emil Kremser zum leitenden Arzt der Heilstätte Sülzhayn war nicht das Ergebnis eines
vorangegangenen öffentlichen Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahrens, sondern eine allein von
Paul Stieber gefasste, am 8. Februar 1896 von der
›Specialkommission für den Bau der Heilstätte‹ legitimierte Personalentscheidung.
Beider gemeinsame berufliche Vergangenheit in Wandsbek und ein daraus resultierendes Vertrauensverhältnis
spielten dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. »Wir haben Anordnung getroffen, daß schon jetzt in dem Dorfe Sülzhayn Patienten, welche einen Luftkurort besuchen sollen, Aufnahme und Pflege finden können unter Controle des zukünftigen Leiters unserer Anstalt, Herrn Dr. Kremser. Es würden dafür besonders Reconvalescenten oder sonstig geschwächte Versicherte in Frage kommen. Der Preis würde etwa 3 Mark täglich betragen. Wir geben den Vereinsvorständen anheim, sich mit Herrn Dr. Kremser in Nordhausen, Parkstraße, in Verbindung zu setzen und uns, soweit die bekannten Voraussetzungen vorhanden sind, wegen Uebernahme der Kosten anzugehen.« Hintergrund der frühzeitigen Überweisung von erholungsbedürftigen Versicherten (»Pfleglinge«)
war die Überlegung, die Knappschafts-Heilstätte zunächst im kleinen Rahmen in Betrieb zu nehmen und
somit Dr. Kremser die Möglichkeit zu geben, sich in sein neues Betätigungsfeld einzuarbeiten und
Erfahrungen im Heilstättenbetrieb zu sammeln. Mit der Verlegung von 6 im Dorf Sülzhayn untergebrachten
Patienten wurde am 17. Januar 1898 die Knappschafts-Heilstätte in den Räumen der späteren Privatanstalt
eröffnet. »Die Krankenzimmer, mit zweckmässigen Möbeln ausgestattet, Fussboden mit Linoleum, z.T. auch Torgament, Wände mit desinfizierender Pestonfarbe und abwaschbaren Tapeten, bester Ventilationsanlage, elektrischer Beleuchtung sowie Niederdruckdampfheizung versehen, liegen fast sämtlich nach der Südseite. Geschützte Liegehallen sind von jedem Krankenzimmer aus entweder durch den dazu gehörigen Balkon oder Korridor denkbar bequem und rasch zu erreichen ... Diese so überaus günstigen klimatischen und hygienischen Verhältnisse des Sanatoriums, die bis 640m Höhe bequem ansteigenden Wege der unmittelbar anliegenden waldreichen Berge, sowie des eigenen 35 Morgen grossen Parkes, elektrische Beleuchtung, Wasserspülung, Kläranlage der Abwässer nach dem Rothe-Degner'schen Kohlenbreiverfahren, Niederdruckdampfheizung, wie zum Teil auch Warmwasseranlagen, Dampfdesinfektionsapparat etc. erfüllen alle Ansprüche an eine mustergültig angelegte Lungenanstalt der Neuzeit, so dass das Sanatorium in einer verhältnismässig kurzen Zeit bereits über die Grenzen des engeren Vaterlandes hinaus zu einem bekannten und bevorzugten Sommer- und Winterkurort mit zeitweise völlig internationalem Verkehr geworden ist. — « (Bäder-Almanach. 1907) Welchen Anteil der internationale Publikumsverkehr am Patientenaufkommen an Dr. Kremsers Sanatorium tatsächlich hatte, kann aufgrund fehlender Archivalien nicht belegt werden. Schriftlich überliefert ist in diesem Zusammenhang der Kuraufenthalt von Jacobus Henricus van't Hoff (1852–1911). Der lungenkranke Chemiker, der 1901 den ersten Nobelpreis für Chemie erhielt, war vom 25. Juni 1907 bis Mitte Oktober 1907 und von Februar bis März 1908 Patient am Steierberg bei Dr. Kremser. Von nachhaltiger Bedeutung für Sülzhayn war hingegen die Behandlung von Emil Hoffmann (1868–1945), dem Schwager von Dr. Kremser, sowie die Beschäftigung der Volontär-Ärzte Arthur Krause (1873–1911) und Dr. Josef Stein (1877–1961) in der Privatanstalt. Emil Hoffmann, ein Hamburger Kaufmann, baute auf Zureden von Emil Kremser seinen ursprünglich zu privaten Erholungszwecken erworbenen Bauernhof im Oberdorf zur Pension »Badehaus« um, aus der im Jahr 1900 das Sanatorium »Kurhaus« hervorging. Josef Stein übernahm die ärztliche Leitung der neu erbauten Sanatorien »Erholung« und »Hohentanneck« und eröffnete 1913 unter seinem Namen ebenfalls ein Sanatorium in Sülzhayn. Arthur Krause wurde später leitender und wissenschaftlich tätiger Arzt am Sanatorium »Otto Stubbe« und vertrat Dr. Kremser zeitweise bei Abwesenheit in dessen Funktion als Chefarzt der Knappschafts-Heilstätte.
Das Sanatorium Dr. Kremser existierte nur wenige Jahre. Als Zeitpunkt der Schließung kann die wirtschaftlich
schwere Zeit des Ersten Weltkrieges (Umnutzung der Knappschafts-Heilstätte zum Lazarett) bzw. die
unmittelbare Nachkriegszeit angenommen werden. Im Februar 1920 fertigte der hallesche Architekt
Friedrich Fahro (1857-1930) im Auftrag der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse schließlich einen
»Bauplan zum Umbau der ehemaligen Privatanstalt der Knappschafts-Heilstätte zu Sülzhayn« an,
für den im April desselben Jahres die Bauerlaubnis erteilt wurde. Der Gebäudekomplex wurde anschließend
bis zur Stillegung 1997 für die Unterbringung von Heilstätten- bzw. Klinikpersonal genutzt. R. Glaß | 2010 |
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