Sanitätsrat Dr. med. Emil Kremser (1859–1947)
Wenige Jahre nach Eröffnung der Knappschafts-Heilstätte der Norddeutschen Knappschaftspensionskasse auf dem
Steierberg bei Sülzhayn erwarb Dr. Emil Kremser ein Grundstück nördlich des Dorfes »Am Rott«,
das heute als »Rottwiese« bzw. »Kremserwiese« bezeichnet wird. Gemeinsam mit
Bernhard Holz und Hermann Tepper, Besitzer der Gipsfabrik Holz & Tepper in Cleysingen, und
Marine-Generalarzt a. D. Richard Kleffel (1850–1919) beabsichtigte Dr. Kremser auf diesem Areal den
Neubau einer großen Heilstätte für Lungenkranke (Abb. 1). Die Baupläne wurden 1905 von den Architekten
Emil und Georg Zillmann aus Charlottenburg angefertigt, die Bauerlaubnis am 2. April 1906 erteilt. Das
Sanatorium gelangte jedoch nie zur Ausführung. Hierfür waren vor allem finanzielle Gründe ausschlaggebend
(Absagen bzw. Ausstieg von Geldgebern). Außerdem konnte kein Belegungsvertrag mit der Landesversicherungsanstalt
abgeschlossen werden.
Durch Schenkung ging die unbebaut gebliebene Rottwiese nach dem Ersten Weltkrieg an Dr. Kremsers jüngste Tochter
Hildegard Rötscher (1899–1982) in Leipzig. Auf Veranlassung des Ehepaares Rötscher erfolgte 1937 der Bau eines
Blockhauses nach Plänen von Volkmann & Arnold aus Nordhausen durch den Sülzhayner Bauunternehmer
Robert Nebelung (Abb. 2 und 3). Es wurde zu Pfingsten 1937 in Benutzung genommen.
Die Kampfhandlungen um Sülzhayn in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges zogen auch die Rottwiese in
Mitleidenschaft. Im Gästebuch des Rottwiesenhauses hält Clemens Warsitz, der Schwager von Dr. Kremser, zum
Jahreswechsel 1945/1946 über das Kriegsende in Sülzhayn fest:
»...Das Blockhaus war erbrochen [aufgebrochen], Granatsplitter und Gewehrkugeln hatten es an mehreren
Stellen durchschlagen, Wände und Türen zerfetzt. Die schöne Wiese war von zahlreichen Granattrichtern aufgewühlt,
und der friedliche Hochwald, von Emil Kremser immer so sorgsam behütet, sah aus, als ob ein großer Windbruch
darin gehaust hätte. Hohe Tannen, von Granaten wie Streichhölzer geknickt, lagen kreuz und quer übereinander
und sperrten die Wege. Blindgänger machten die Umgegend unsicher, verstreut lagen überall Ausrüstungsstücke
verwundeter und gefallener deutscher und amerikanischer Soldaten. Eine Anzahl Toter war geborgen und inzwischen
auf dem neuen Friedhof beerdigt worden. Die köstliche Wiesenquelle hatte auch einen Volltreffer erhalten und
mußte wieder in gebrauchsfähigen Zustand versetzt werden. So hat es denn längerer Zeit und anstrengender Arbeit
bedurft, bis wenigstens die augenfälligsten Schäden einigermaßen wieder gut gemacht waren. ... So steht das
Häuschen nun verschlossen, verödet, verlassen im Winterwald und wartet kommender, besserer Zeiten. Sie werden
kommen, davon sind wir überzeugt, und die schöne Rottwiese mit ihrem friedlichen Blockhause wird wieder Auferstehung
feiern.«
Das Blockhaus auf der Rottwiese wurde auch Freunden und Verwandten des Ehepaares Rötscher für Erholung und Urlaub
zur Verfügung gestellt. Dazu zählten mit Professor Carl Bartuzat (1882–1959) und Carl Herrmann (1876–1952) auch
Mitglieder des Leipziger Gewandhaus-Orchesters. Einen originellen Eintrag ins Gästebuch des Rottwiesenhauses
machte Prof. Carl Bartuzat am 6. August 1949 durch Niederschrift einer Kurzkomposition; ein Scherzo, welches
er »Sommernachtstraum auf der Rottwiese« nannte:
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Die Eintragungen im Gästebuch des Rottwiesenhauses enden Anfang Januar 1951. Der Familie Rötscher war es von
Leipzig aus nicht länger möglich, ihr Anwesen auf der Rottwiese zu nutzen und zu unterhalten. Sülzhayn lag durch
die Nachkriegsordnung im Sperrgebiet der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) an der Grenze zur damaligen
Bundesrepublik Deutschland. Ende der 1950er Jahre verkauften Rötschers das Rottwiesenhaus an den Sülzhayner
Bauern Zellmann, dessen Nachkommen die Rottwiese bis heute gehört.
Das 1937 erbaute Blockhaus existiert nicht mehr. Aufgrund des schlechten baulichen Zustandes mußte es Anfang
der 1990er Jahre durch einen Neubau ersetzt werden. Der zum Jahreswechsel 1945/1946 von Clemens Warsitz
geäußerte Wunsch nach »besseren Zeiten« und »Auferstehung« des Rottwiesenhauses wurde
somit Jahrzehnte später mit der Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands Wirklichkeit. —