Ev.-luth. Kirche St. Johannis-Pauli Niedersachswerfen | Eisenacher Regulativ

Das Eisenacher Regulativ - Regeln für den evangelischen Kirchenbau

beschlossen 1861 auf der Kirchenkonferenz in Eisenach unter Mitwirkung von:

  • Friedrich August Stüler, Geheimer Oberbaurat in Berlin
  • Christian Friedrich von Leins, Oberbaurat in Stuttgart
  • Conrad Wilhelm Hase, Baurat in Hannover

I. Jede Kirche sollte nach alter Sitte orientiert, das heißt so angelegt werden, daß ihr Altarraum gegen den Sonnenaufgang liegt.

II. Die dem evangelischen Gottesdienst angemessenste Grundform der Kirche ist ein längliches Viereck. Die äußere Höhe, mit Einschluß des Hauptgesimses, hat bei einschiffigen Kirchen annähernd 3/4 der Breite zu betragen, während es um so mehr den auf das akustische Bedürfnis zu nehmenden Rücksichten entspricht, je weniger die Länge das Maß seiner Breite überschreitet. Eine Ausladung im Osten für den Altarraum (Apsis, Tribüne, Chor) und in dem östlichen Teile der Langseiten für einen nördlichen und südlichen Querarm gibt dem Gebäude die bedeutsame Anlage der Kreuzgestalt. Von Zentralbauten ohne Kreuzarmansätze ist das Achteck akustisch zulässig, die Rotunde als nicht akustisch zu verwerfen.

III. Die Würde des christlichen Kirchenbaues fordert Anschluß an einen der geschichtlich entwickelten christlichen Baustile und empfiehlt in der Grundform des länglichen Vierecks neben der altchristlichen Basilika und der sogenannten romanischen (vorgotischen) Bauart vorzugsweise den sogenannten germanischen (gotischen) Stil. Die Wahl des Bausystems für den einzelnen Fall sollte aber nicht sowohl dem individuellen Kunstgeschmack der Bauenden als dem vorwiegenden Charakter der jeweiligen Bauweise der Landesgegend folgen. Auch sollten vorhandene brauchbare Reste älterer Kirchengebäude sorgfältig erhalten und maßgebend benutzt werden. Ebenso müssen die einzelnen Bestandteile des Bauwesens in seiner inneren Einrichtung, von dem Altar und seinen Gefäßen bis herab zum Gestühl und Geräte, namentlich auch die Orgel, dem Stil der Kirche entsprechen.

IV. Der Kirchenbau verlangt dauerhaftes Material und solide Herstellung ohne täuschenden Bewurf oder Anstrich. Wenn für den Innenbau die Holzkonstruktion gewählt wird, welche der Akustik besonders in der Überdachung günstig ist, so darf sie nicht den Schein eines Steinbaues annehmen. Der Altarraum ist jedenfalls massiv einzuwölben.

V. Der Haupteingang der Kirche steht am angemessensten in der Mitte der westlichen Schmalseite, so daß von ihm bis nach dem Altar sich die Längenachse der Kirche erstreckt.

VI. Ein Turm sollte nirgends fehlen, wo die Mittel irgend ausreichen, und wo es daran dermalen fehlt, sollte Fürsorge getroffen werden, daß er später zur Ausführung komme. Zu wünschen ist, daß derselbe in einer organischen Verbindung mit der Kirche stehe, und zwar der Regel nach über dem westlichen Haupteingange zu ihr. Zwei Türme stehen schicklich entweder zu den Seiten des Chors oder sie schließen die Westfront der Kirche ein.

VII. Der Altarraum (Chor) ist um mehrere Stufen über den Boden des Kirchenschiffes zu erhöhen. Er ist groß genug, wenn er allseitig um den Altar den für die gottesdienstlichen Handlungen erforderlichen Raum gewährt. Anderes Gestühl, als etwa für die Geistlichen und den Gemeindevorstand, und, wo der Gebrauch es mit sich bringt, der Beichtstuhl, gehört nicht dorthin. Auch dürfen keine Schranken den Altarraum von dem Kirchenschiffe trennen.

VIII. Der Altar mag je nach liturgischem oder akustischem Bedürfnis mehr nach vorne oder rückwärts, zwischen Chorbogen und Hinterwand, darf aber nie unmittelbar (ohne Zwischendurchgang) vor der Hinterwand des Chors aufgestellt werden. Eine Stufe höher als der Chorboden muß er Schranken, auch eine Vorrichtung zum Knieen für die Konfirmanden, Kommunikanten, Kopulanten usw. haben. Den Altar hat als solchen, soweit nicht konfessionelle Gründe entgegenstehen, ein Kruzifix zu bezeichnen, und wenn über dem Altartische sich ein architektonischer Aufsatz erhebt, so hat das etwa damit verbundene Bildwerk, Relief oder Gemälde, stets nur eine der Haupttatsachen des Heils darzustellen.

IX. Der Taufstein kann in der innerhalb der Umfassungswände der Kirche befindlichen Vorhalle des Hauptportals oder in einer daranstoßenden Kapelle, sodann auch in einer eigens dazu hergerichteten Kapelle neben dem Chor stehen. Da, wo die Taufen vor versammelter Gemeinde vollzogen werden, ist seine geeignetste Stellung vor dem Auftritt in den Altarraum. Er darf nicht ersetzt werden durch einen tragbaren Tisch.

X. Die Kanzel darf weder vor noch hinter oder über dem Altar, noch überhaupt im Chore stehen. Ihre richtige Stellung ist da, wo Chor und Schiff zusammenstoßen, an einem Pfeiler des Chorbogens nach außen dem Schiffe zu; in mehrschiffigen großen Kirchen an einem der östlicheren Pfeiler des Mittelschiffs. Die Höhe der Kanzel hängt wesentlich von derjenigen der Emporen (XIII.) ab, und ist überhaupt möglichst gering anzunehmen, um den Prediger auf und unter den Emporen sichtbar zu machen.

XI. Die Orgel, bei welcher auch der Vorsänger mit dem Sängerchor seinen Platz haben muß, findet ihren natürlichen Ort dem Altar gegenüber am Westende der Kirche auf einer Empore über dem Haupteingang, dessen perspektivischer Blick auf Schiff und Chor jedoch nicht durch das Emporengebälke beeinträchtigt werden darf.

XII. Wo Beicht- oder Lehrstuhl (Lesepult) sich findet, da gehört jener in den Chor (VII.), dieser entweder vor den Altar auf eine der Stufen, die aus dem Schiffe zum Chor emporführen, doch so, daß der Blick der Gemeinde nach dem Altar nicht verhindert werde, oder an einen Pfeiler des Chorbogens, um für den Zweck der Katechese, Bibelstunde und desgleichen vor den Altar hingerückt zu werden.

XIII. Emporen, außer der westlichen (XI.), müssen, wo sie unvermeidlich sind, an den beiden Langseiten der Kirche so angebracht werden, daß sie den freien Überblick der Kirche nicht stören. Auf keinen Fall dürfen sie sich in den Chor hineinziehen. Die Breite dieser Emporen, deren Bänke aufsteigend hintereinander anzulegen sind, darf, soweit nicht die Ausladung von Kreuzarmen eine größere Breite zuläßt, 1/5 der ganzen Breite der Kirche, ihre Erhebung über den Fußboden der Kirche 1/3 der Höhe derselben im Lichten nicht überschreiten. Von mehreren Emporen übereinander sollte ohnehin nicht die Rede sein.

XIV. Die Sitze der Gemeinde (Kirchenstühle) sind möglichst so zu beschaffen, daß von ihnen aus Altar und Kanzel zugleich während des ganzen Gottesdienstes gesehen werden können. Vor den Stufen des Chores ist angemessener Raum frei zu lassen. Auch ist je nach dem gottesdienstlichen Bedürfnis ein breiter Gang mitten durch das Gestühl des Schiffes nach dem Haupteingange zu, oder, wo kein solches Bedürfnis vorliegt, sind zwei Gänge von angemessener Breite an den Pfeilern des Mittelschiffes oder an den Trägern der Emporen hin anzulegen. Die Basen der Pfeiler sollen nicht durch Gestühl eingefasst werden.

XV. Die Kirche bedarf einer Sakristei, nicht als Einbau, sondern als Anbau, neben dem Chor, geräumig, hell, trocken, heizbar, von kirchenwürdiger Anlage und Ausstattung.

XVI. Vorstehende Grundsätze für den evangelischen Kirchenbau sind von den kirchlichen Behörden auf jeder Stufe geltend zu machen, den Bauherren rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen und der kirchenregimentlichen Prüfung, beziehungsweise Besichtigung, welcher sämtliche Baurisse unterstellt werden müssen, zugrunde zu legen.

Quelle:

  • Fritsch, Karl Emil Otto (Hrsg.): Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart. Berlin 1893, S. 237ff.

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