K = Dr. med. Emil Kremser (1859–1947); Oberarzt der Knappschafts-Heilstätte, später Chefarzt
St = Paul Stieber (1856–1944), 1. Direktor der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse
P = Hermann Preu (1838–1912), Pastor in Sülzhayn
Mit Lob und Dank erfüllt ist heute unser Herz beim Eintritt in diese nun vollendeten herrlichen Räume. Oft vorher zwar
war unser Herz beschwert. Seitdem gerade heut vor 4 Jahren Herr Director Stieber mit mir in unseren Bergen mit kundigem
Auge und liebewarmem Herzen einen Platz suchte und hier fand, an dem er seinen Kranken eine gesunde und schöne Heilanstalt
erbauen mochte, als dann ungeahnte Schwierigkeiten und Hindernisse immer wieder erstanden, haben viele tausend Augen wohl
oft zu diesen Bergen mit Sorgen emporgeschaut.
Aber immer hat unser treuer Gott die Nichtigkeit unserer Sorgen uns gezeigt, unsere Herzen emporgezogen zu Ihm, der über
allen Bergen thront, in seiner gnädigen Durchhülfe, in seinem liebreichen Bewahren vor schwerem Unfall und bewiesen, daß
der treue Hüter Israels auch über diesem Werke nicht schläft und schlummert. Drum danken wir Ihm jetzt und in Zukunft also,
daß wir alle Ihm unser Werk befehlen. Heilanstalt heißt dieses Haus und weist uns mit seinem Namen auf den Heiland aller
Menschen! ›Ein Arzt ist uns gegeben, der selber ist das Leben, Christus für uns gestorben, hat uns das Heil
erworben‹, so singen wir (440 v. 4). Das zeigt uns, daß wir nicht allein an leibliche Krankheit, nein, auch an
die geistige Krankheit, die Sünde, hier zu gedenken haben, wie unser Heiland zu dem leiblich kranken Gichtbrüchigen erst
das Wort spricht: ›Sei getrost mein Sohn, Deine Sünden sind Dir vergeben‹ und dann erst: ›Hebe
Dein Bett auf und gehe heim.‹ Schwere Aufgaben für den treuen Arzt und die lieben Schwestern. Hebt Eure Augen
auf zu den Bergen, von welchen Euch Hülfe kommt. Hat Er Euch wie mit reichem Verständniß und großer Treue in Eurem
Beruf, so auch mit warmer, inniger Christenliebe gegen Eure leidenden Pflegebefohlenen beschenkt, so will Er auch als
stets helfender Hüter über Euch walten. Ihr und ich mit Euch gemeinsam wollen wir unsere Augen zu Ihm emporheben und
beten: ›Behüte uns an Leib und Seele, erfülle uns mit Liebe und Ernst.‹
Zum Schluß laßt uns unsere Augen emporrichten zum helfenden Herrn für die Kranken, die zu diesen herrlichen Hallen
kommen. Aus weiter Ferne hierher gesandt, verlassend die Heimat auf unbestimmte Zeit, ziehen sie ein mit froher
Hoffnung auf Kräftigung ihrer Gesundheit, Genesung, Rückkehr in Heimat und Berufsarbeit, ihre Augen erhebend zu Euch.
Gott segne ihren Einzug hier, Er ziehe ihre Herzen immer mehr nach oben himmelwärts, Er erfülle sie mit Hunger und
Durst nach seiner Gerechtigkeit und stärke sie an Leib und Seele. Er segne die irdischen Heilmittel, die in treuer
Liebe ihnen geboten werden. Und kommen sie seufzend zwar unter leiblichen Schmerzen noch mehr aber ungesehen gebeugt
von ihrer Sünde, so segne ihnen der treue Heiland die Heilsmittel seines heiligen Wortes und seines teuren Blutes,
daß sie mit dem Bekenntniß: ›Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir, ich bin nicht wert, daß ich Dein
Sohn heiße‹ doch ihre Augen freudig und getrost emporheben zu dem, der sie im hl. Nachtmahl reinigt mit dem
Blute seines lieben Sohnes Jesu Christi von allen Sünden. Und hat er in seinem unerforschlichen Liebesrate einen
anderen Ausgang ihnen bestimmt, als sie gewünscht, hat Er den Ausgang aus dieser Leibeshütte hier für sie beschlossen,
nun so wolle Er ihnen auch gewähren den Eingang in die ewigen Hütten des Friedens.
Dieser Ausgang steht uns allen bevor, Kranken und Gesunden, Hohen und Niedrigen, Nehmenden und Gebenden, Pflegenden und
Gepflegten. Gott segne uns Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen.
Hierauf ergriff der erste Director Stieber das Wort zu folgender Ansprache:
Hochgeehrte Festversammlung!
Erst wenige Jahre sind ins Land gegangen, seit wir in Halle jenes herrliche Haus weihten, welches den Unfallverletzten Heilung
und Genesung bringen soll, und schon wieder stehen wir in der Weihestunde einer großen Heilstätte, die bestimmt ist, demselben
Kreise von Arbeitern zum Heile zu dienen. Wahrlich, ein herrliches Zeichen von Opferwilligkeit und Schaffensfreude – ein Zeichen
aber auch dafür, daß die social-politische Gesetzgebung dem Knappschaftswesen nicht nur nicht den Todesstoß versetzt hat, wie
manche Schwarzseher seiner Zeit wohl fürchteten, sondern daß sie ihm neue Kraft und neue Lebensfreudigkeit verliehen und es
befähigt hat, an die Lösung neuer und großer Aufgaben heranzutreten. Denn eine neue Aufgabe ist es auch, dem dieses Haus
geweiht sein soll. Die Bekämpfung der Schwindsuchtsgefahr und die Fürsorge für unbemittelte Lungenkranke steht ja heut an der
Spitze aller humanitären und socialen Bestrebungen. Und uns, die wir in dieser Bewegung mitten drinnen stehen und einen
Einblick haben in ihre gewaltige Ausdehnung - uns erfüllt es mit tiefinnerster Genugthuung, daß die Knappschaftsvereine nicht
zurückgeblieben sind in der Fürsorge unsere Zeit für die armen Kranken, daß sie vielmehr getreu ihrer altehrwürdigen
Ueberlieferung unverdrossen und muthig in den Kampf eingetreten sind und daß sie durch Schaffung dieser Heilstätte mit an der
Spitze dieser Bestrebungen marschiren.
Und solche Freude und Genugthuung erfüllt – so dürfen wir hoffen – heut wohl die Herzen aller Theilnehmer an dieser
Einweihungsfeier.
Freilich – als ich vor 4 Jahren mit dem Plane der Errichtung einer besonderen Heilstätte für chronisch kranke Versicherte,
insbesondere für Lungenkranke hervortrat, da durfte ich nicht erwarten, daß dieser damals neu und vielleicht auch etwas
befremdliche Plan sofort auf allen Linien begeisterte Zustimmung finden würde. Der Eifer und das Interesse für die Sache
wuchsen aber, sobald man sich näher mit ihr beschäftigte, und so hatte ich denn auch bald die große Freude, daß die anfangs
gehegten Bedenken immer mehr schwanden, und daß man allmählich begann sich mit meinem Plane zu befreunden. Und am 19.
October 1895, also ziemlich genau vor 3 Jahren, faßte die Generalversammlung den denkwürdigen Beschluß, diese Heilstätte zu
erbauen.
Schon ein Jahr vorher, im Jahre 1894, war es mir mit Hülfe des hochverehrten Herrn Pastor Preu gelungen, diesen herrlichen
Platz ausfindig zu machen. Und es kommt mir heut fast vor wie ein Märchen, wie Zauberei, daß an dieser Stelle tiefsten
Waldfriedens und tiefster Waldeinsamkeit, wo sich - wie man wohl zu sagen pflegt - die Füchse Gute Nacht sagen, - daß an dieser
Stelle nunmehr ein wirthschaftlich bewegtes Leben herrscht, und daß sich hier diese stattlichen Gebäude erheben, welche 100
Menschen und mehr ein sicheres Obdach gewähren sollen.
Freilich - wer es miterlebt hat, der weiß, daß es nichts weniger als Zauberei gewesen ist, dies alles hier zu schaffen: Viel,
sehr viel Arbeit, verbunden mit Aergernissen und Enttäuschungen mancherlei Art – das bleibt ja Keinem erspart, der ein großes
Werk unternimmt. Aber heut – wer vermag heut an Unerfreuliches zu denken. Heut – wo wir endlich auf der Stufe der Vollendung
angelangt sind – heut erfüllt unser Herz nur Freude und unsere Seele ist erfüllt von innigem, herzlichem Dank gegen alle,
die mit uns gearbeitet haben an diesem Werke. Vor Allem richten wir unsere Blicke dankbar zu Ihm, dem allmächtigen Gott,
der unser Werk bis hierher so wohl geleitet hat. Er hat auch die Angestellten und Arbeiter des Baues in seinen gnädigen
Schutz genommen und sie vor Schaden bewahret, so daß der schwierige Bau vollendet werden konnte, ohne daß wir einen ernsten
Unfall zu beklagen hätten.
Der Redner dankte sodann der Generalversammlung, die den Vorstand in die Lage versetzt habe, dies Werk zu schaffen, dem
Aufsichtsrath, der ihn dabei mit Sachverständigkeit unterstützt, der Aufsichtsbehörde, welche das Unternehmen mit Güte und
Wohlwollen gefördert habe, und den Architekten, Handwerkern und Arbeitern für ihre Hülfe und Mitarbeit und gedachte dankend
der thätigen Hülfe, welche er von anderer Seite erfahren hatte. Dabei nannte er insbesondere die Namen: Sanitätsrath Fielitz -
Halle, Sanitätsrath Vogel – Eisleben, Geh. Medicinalrath Dettweiler – Falkenstein, Dr. Nahm – Ruppertsheim, Dr. Meißen –
Hohenhonnef und Stadtbaurath Genzmer in Halle.
Hierauf wendete er sich an den leitenden Arzt der Heilstätte und die Oberschwester Diakonisse Louise Baumann und führte sie,
indem er sie mit warmen Worten begrüßte, in ihr Amt ein.
Der Schluß der Ansprache lautete:
So übergebe ich denn nunmehr dieses Haus mit allem seinem Zubehör seiner Bestimmung. Und als Begleitwort möchte ich ihm
das Wort mitgeben, das auch den socialpolitischen Gesetzen und insbesondere dem Gesetz betr. die Invaliditäts- und
Altersversicherung mit auf den Weg gegeben ist, das Wort: ›Liebet die Brüder.‹ Dieses Wort ist auch der
Leitstern gewesen, welcher dem Vorstande und besonders mir bei der Schaffung dieser Heilstätte vorgeschwebt hat.
Nicht Eitelkeit, nicht selbstsüchtige Pläne – denn wir haben ja nur eine überaus große Verantwortlichkeit und eine große
Arbeitslast auf uns genommen – auch nicht allein der Gedanke Renten zu sparen - denn eine solche Ersparniß wird sich niemals
rechnungsmäßig nachweisen lassen. – Nein! Es war die Erkenntniß, daß es eine große Anzahl von armen Kranken giebt, denen nur
auf diesem Wege geholfen werden kann – der Wunsch auch dem wirthschaftlich Schwächeren eine Heilmöglichkeit zugänglich zu
machen, welche bisher nur für die Wohlhabenden erreichbar war – und nicht zum Geringsten die Hoffnung, daß es uns vielleicht
gelingen möchte, auch zu unserem bescheidenen Theile zur Abschwächung der socialen Gegensätze unserer Zeit und damit zum
socialen Frieden beizutragen – das waren die Gedanken, von denen ich bei diesem Unternehmen mich leiten ließ.
Vielleicht vermögen sie nachher, wenn sie uns die Freude machen, die Räume der Heilstätte zu besichtigen, auch hier und dort
Spuren davon zu entdecken, mit welcher Sorgfalt und mit welcher Liebe wir bemüht gewesen sind, die verschiedenen
Einrichtungen in diesem Sinne zum Wohle der Kranken möglichst vollkommen zu gestalten. Freilich – das wissen wir selber – sind
auch wir hier von der Vollkommenheit noch immer recht weit entfernt: Aber was nur irgend in unseren Kräften stand, was wir nur
immer vermochten, das haben wir treu und ehrlich gethan. Darum dürfen wir auch hoffen, daß unserem Werke Gottes Segen
nicht fehlen werde.
Und so möge denn dieses Haus werden ein Haus des Friedens und des Heiles, in welchem Vorstand, Arzt und Schwester sich
vertrauensvoll zu gemeinsamer treuer Arbeit die Hände reichen - zum Heile der Kranken, welche hier Aufnahme finden, und zum
Heile des Werkes, welches wir begonnen haben. Und die Kranken, die Leidenden – möchten sie doch von hier nicht nur die
körperliche Gesundheit mit heimnehmen, sondern auch das beglückende Gefühl, daß hier die Liebe herrscht, die Liebe, die keine
gesellschaftlichen, keine socialen Grenzen kennt – die Liebe zu den Brüdern.
Das walte Gott! Amen.
Hierauf erhob sich der Berghauptmann Herr von Velsen und sprach der Pensionskasse und ihren Organen mit anerkennenden
Worten die herzlichsten Glückwünsche der Aufsichtsbehörde aus.
Das Schlußgebet sprach der Geistliche des Halleschen Diakonissenhauses Herr Pastor Jordan in tiefempfundenen Worten.
Hiermit war die Feier, welche wenig mehr als eine Stunde gedauert und gerade durch ihre Sachlichkeit und Kürze einen tiefen
Eindruck auf die Anwesenden gemacht hatte, beendet.
In verschiedenen Gruppen durchwanderten nunmehr die Festtheilnehmer unter sachkundiger Führung die ausgedehnten
Räumlichkeiten der Heilstätte, stiegen empor bis zu der im Dachgeschosse belegenen, für sich abgeschlossenen, freundlichen
Wohnung der Schwestern und kletterten tief hinab in den Keller bis in den Kesselraum, wo der Heizer sich nicht hatte nehmen
lassen, die Kessel mit Blumensträußen zu schmücken – bewunderten die einzig schöne Aussicht von den Liegehallen auf die bunt
gefärbten Wälder und staunten über die praktische Einrichtung der einzelnen Räume. Die Pause bis zum Essen nutzten die
meisten Festgäste zu einem Spaziergange in den Wald aus, während in dem großen Saale von geschickten Händen die
Speisetafeln aufgestellt wurden, an denen dann 1/2 1 Uhr 50 Personen Platz nahmen.
Der Verlauf des Festessens bewies, in wie guten Händen sich die wirthschaftliche Leitung der Heilstätte befindet. Obwohl die
Küche zum ersten Male in Benutzung genommen war, obwohl es das erste Mal war, daß im Saale überhaupt gegessen und daß
das Anstaltsinventar benutzt wurde, klappte doch alles so vorzüglich, als wenn es sich um ganz alltägliche, längst gewohnte Dinge
handelte. Die Zubereitung der Speisen war vortrefflich, die Bedienung bei Tisch aufmerksam und geräuschlos – kurz, es blieb nach
dieser Richtung auch nicht ein Wunsch offen. Zur Deckung der Kosten des Essens war übrigens von allen denjenigen, welche
Diäten aus der Pensionskasse erhielten, ein Betrag von 3 Mark (Arbeiter) bzw. 6 Mark (Arbeitgeber) einbehalten worden.
Den Kaisertoast hielt der Berghauptmann Herr von Velsen, Herr Geh.-Rath Arndt toastete auf die Erbauer der Heilstätte, auf
Vorstand, Aufsichtsrath und Generalversammlung, Herr Bergrath Schroecker gedachte des Arztes, Herrn Dr. Kremser, dieser
erwiderte mit einem Toast auf die Organe der Pensionskasse, denen dann auch der Knappschaftsälteste Gedingenehmer Herr
Dominik/Rüdersdorf den Dank der Versicherten der Arbeiter aussprach. Director Stieber ließ hierauf die Architekten leben,
während Herr Oberbergrath Schreiber den Aufsichtsbehörden ein dreifaches Glück auf darbrachte. Herr Pastor Preu ließ die
Frauen leben, Herr Bergrath Lengemann widmete der Heimath, dem Harze, warmempfundene Worte. Herr Bergrath Schroecker
gab der Anregung Raum, es möchten in den Zechenstuben, Versammlungsräumen und dergl. Photographien der Heilstätte
aufgehängt werden, damit die Arbeiter diese schöne Anstalt wenigstens aus dem Bilde kennen lernten. Director Stieber verlas
schließlich eine ganze Reihe von Glückwunschtelegrammen, und theilte mit, daß ihm 50 Mark zu Gunsten solcher Patienten
zugegangen seien, welche das Weihnachtsfest in der Anstalt verleben müßten. Er hoffe, daß sich noch mehr Wohlthäter finden
würden. Diese Hoffnung betrog ihn auch nicht, denn am Schlusse der Feier war der Fonds bereits auf 207 Mark angewachsen.
Herzlicher Dank sei den Spendern auch an dieser Stelle ausgesprochen. Nach Aufhebung der Tafel wurde von Herrn Photograph
Schiewek aus Nordhausen, dessen Kunst wir alle die schönen Bilder unserer Heilstätte zu verdanken haben, ein Gruppenbild der
Festversammlung aufgenommen.
Allmählich nahte aber die Zeit des Aufbruches. Um 5 Uhr verließen die letzten Festtheilnehmer die Heilstätte mit dem freudigen
Bewußtsein nicht nur Zeuge einer bedeutungsvollen Feier gewesen zu sein, sondern auch ein schönes und erhebendes Fest, daß
ohne jeden Mißton verlaufen war, gefeiert zu haben.
Am Sonntag, 16. October, zogen die Pfleglinge in die Heilstätte ein, 30 an der Zahl, denen bald eine ganze Reihe weiterer
Pfleglinge folgen wird.
So ist denn das große Werk, welches wir begonnen haben, vollendet, und wir glauben im Sinne aller Festtheilnehmer zu
sprechen, wenn wir mit großer Freude und Genugthuung der Meinung Ausdruck geben, daß schöner und harmonischer diese
Vollendung nicht hätte gefeiert werden können.
Gott gebe nun, daß alle Hoffnungen, welche auf diese Heilstätte gestützt werden, in Erfüllung gehen. St.«
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