[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 1. Juli 1906]
Assistentenwohnung in Anstalt 2 Treppen, sehr hübscher Raum mit herrlicher Fernsicht (auf Wald
u. Ellrich). Nur Einrichtung sonderbar, z. B. kein Kleiderschrank od. sonstige Vorrichtung etwas
aufzuhängen. Als Kremser erscheint mich zu begrüßen, verspricht er Abhilfe. Sehr primitiver
Waschständer, aber gute Badestube. Familie Kr. |7| begrüßt mich sehr freundl. Zwei junge
Damen zum Besuch. Bleibe zum Abendessen, frei heute. Später muß mit Patienten speisen. Hinterher
in Anstalt eine von Kranken geleitete Kasperle Aufführung, der beiwohnen. Etwas zu ausgedehnter
Genuß. Bald danach ziehe mich zurück. Assistenzarzt Dr. Rosen. |8| wohnt neben mir. Zunächst
ist er auf Probe als Volontär.
[Fortsetzung der Aufzeichnungen am Ende des Tagebuches unter »Familiengedenktage Mai/Juni«]
Mit sehr großen Hoffnungen u. mit zu frohem Mut bin ich nicht nach S. |9| gegangen. Die
Aussicht mich dort dauernd tätig zu sehen, sind mir vollst. geschrunden |10|, obschon
Kr. |11| auch heute wieder versichert, daß auf Erfolg hofft. Sobald ich etwas eingearbeitet
bin, will sich der Sache energisch annehmen. Zeit wäre es. Meine unausgesetzten Mißerfolge [machen]
mir Tätigkeit zu schaffen, trotz steter Bemühung, haben mich entmutigt u. entsch. nachteilig auf mich
gewirkt. Ich bin mehr wie nötig gealtert. Die ewige Sorge ums tägliche Brod, das ständige Grübeln
darüber, wie Besserung zu schaffen wäre, das unbefriedigende, unruhige Leben in B. |12|,
die unablässigen Unstimmigkeiten in d. Familie haben mich verbittert u. meine Nerven kaput gemacht.
Hoffentl. bringt nun der Aufenthalt in S. |9| darin Aenderung, sofern sich einigermaßen
zufriedenstellend gestaltet. In meinem Alter u. nachdem ich in meinem Berufe zur Höhe gelangt war,
zurück in solche Verhältnisse, da ist nicht leicht.
[Fortsetzung der Aufzeichnungen am Ende des Tagebuches unter »Familiengedenktage Juli«]
Ich muß ja aber aushalten, ja sogar dankbar sein, daß etwas für mich u. die meinen tun kann. Der Harz
Aufenthalt kann meiner Gesundheit vielleicht gut tun u. er kostet mich keine Opfer, da ich noch für
den Monat 175M Entschäd. erhalten soll. Immerhin ganz willkommene Zugabe. Ich will mein Bestes tun,
um daraus vielleicht dauernden Vorteil zu ziehen. Schwer ist mir Trennung von H. |1| und Kindern,
zumal mir wohl nicht unbegründete Sorge um Zwillinge |13|, namentl. Werner mache, dessen Herzbeschwerden
entsch. bedenklich sind. Nun, hoffentl. wendet sich alles zum Besten. Das gebe d. g. B. d. W. |14|