Die heutigen Nachrichten von meinem Altchen versetzen mich in kein geringes Erstaunen u. bringen mich, wie kaum zuvor in Verlegenheit. Ich sitze an meinem Antwortbrief
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 16. Juli 1906]
stundenlang (bis fast 1h), da ihn immer wieder umschreiben muß. H. |5| bittet
mich um meine Ansicht über einen Besuch, den sie Frau Brachmann in Kiel machen will,
nachdem sie durch Frau Humann erfahren, daß jene recht leidend sein soll. H. |5|
will sie aufheitern. Das ist ja nun an sich ein recht lobenswertes Vorhaben u. entspricht
ganz dem guten Herzens meines Schatzes, aber solch' Unternehmen mit unseren zeitigen
Verhältnissen in Einklang zu bringen, ist doch recht schwierig. Als ich andeutete die
Zwillinge |6| zu ihrer Erholung hierher zu nehmen
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 15. Juli 1906]
wies H. |5| sehr energisch auf die Unkosten hin u. darauf, daß ich doch alles
vermeiden sollte was nicht ganz notwendig auszugeben wäre, damit ich hier etwas
erübrigte, was wir dann nützlich anlegen sollten. Nun, das Zeugnis kann ich mir geben,
dß ich danach handele. Ich knausere um den Pfennig, leiste mir trotz der anstrengenden
Arbeit nichts. Und nun sollen plötzlich, um anderen Leuten entgegen zu kommen, die mühsam
errungenen Groschen wieder hingegeben werden. Ich muß sagen, dß diese Zumutung mich recht
traurig stimmte u. ich garnicht weiß, was in mein sonst so verständiges, überlegendes
Weib gefahren ist. Kann nur annehmen, dß die Briefe der Goldst. Mädchen über ihren
Aufenthalt in Kiel, H. |5| so lebhaft an die alten Zeiten erinnerten, daß jenes
Verlangen sie übermannte. Liebend gern gäbe ich ja alles hin, wenn ich den Meinen eine
Freude machen kann. Aber zu einer kranken Frau u. zwar unaufgefordert zu gehen u. damit
doch Pflichten ihr gegenüber zu übernehmen, wenn es nicht dringend notwendig u. wenn
direkte Opfer damit verbunden, ds will mir nicht in den Sinn. Und ganz unbegreiflich
ist es mir, dß H. andeutet, dß mit dieser Reise auch eine Annäherung an die neue Schwägerin
zu verbinden wäre. Wie H. |5| dabei den ersten Schritt tun will ist mir unfaßbar,
nachdem auf einen Ausgleichversuch den ich durch einen Hochzeitsbrief machte, nicht ein
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 13. Juli 1906]
einziges Wort der Erwiderung erfolgte, vielmehr eisiges Schweigen über unser Hochzeitsgeschenk.
Warum denn alle die vorangegangenen, doch so wenig angenehmen Handlungen? Bietet H. |5|
jetzt die Hand, bekennt sie sich als im Unrecht befindlich. Und wer steht dafür, dß sie sich
nicht einen tüchtigen Abfall |7| leistet, jetzt wo Eugen nicht einmal zu Hause!
Wie gesagt, ich stehe vor Rätsel u. das schreibe ich H. |5| dann auch offen. Bin
neugierig wie abläuft. Allerlei andere Gedanken, die mich im Anschluß daran quälen, behalte
für mich. Ob H. |5| in der Tat glaubt, dß mein hiesiger Aufenthalt
[Fortsetzung der Aufzeichnungen unter dem 14. Juli 1906]
auf mein Vergnügungskonto zu setzen ist? Solches Verkennen würde mich tief schmerzen.
Ich hoffe doch, daß H. |5| es mit mir fühlt, wie sehr drückend es für mich ist,
mich in einer Position zu befinden, wie jetzt hier. Arbeit ist allerdings keine Schande,
aber zurückkehren zu müssen zu einer Tätigkeit die einem vor 30 Jahren anstand, das ist nicht
leicht, erfordert viel Ueberwindung.