Montag, 9. Juli 1906
Wetter heute wenigstens erträglich. Nur wenige Tropfen Regen, aber bezogen |1|
und schwül. Ich mache früh Spaziergang in Wald. Dann wird scharf gearbeitet und gut
geschafft. Ginge noch besser, wenn Kr. |2| besser disponierte. Auch vor u. nach
Abendessen kann noch etwas im Freien sein. Heute zum ersten Mal tadelloses Essen.
Da neue Patienten eingetroffen u. mehrere Gäste, fast Ueberfüllung. Und dabei täglich
Abweisungen! Dr. R. |3| klagt über »sehr angegriffene Nerven«! Ich
schreibe lange an Gutachten. Dr. R. |3| der mit mir Tür an Tür wohnt, bittet mich,
allerdings in liebenswürdigster, bescheidenster Weise früher zu Bett zu gehen. Mein langes
Aufbleiben störe ihn u. seine Nerven bräuchten große Ruhe. Ich rede ihm gut zu, daß sich
etwas zusammen nähme. Das wär beste Nervenstärkung. Würde aber gern auch Rücksicht auf
ihn nehmen. Spaßiger Kunde.
|1| bezogen = bedeckt, bewölkt
|2| Dr. med. Emil Kremser (1859–1947), Chefarzt an der Knappschafts-Heilstätte Sülzhayn |3| Dr. med. Alfred Rosenstein (1877–?), Assistenzarzt an der Knappschafts-Heilstätte Sülzhayn |